"Die Leute müssen wissen, was in Gaza wirklich passiert"

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Die palästinensische Pressefotografin Samar Abu Elouf hat mit ihrem Bild des neunjährigen Mahmoud Ajjour das World Press Photo 2025 gewonnen. Im Interview erzählt sie über ihre Arbeit im Gazastreifen.

Von Franziska Trautmann

„Mir ist bewusst, dass diese Arbeit sehr gefährlich ist, aber es ist mir wichtig, über das Geschehen in Gaza zu berichten“, sagt Samar Abu Elouf, die diesjährige Preisträgerin des World Press Photo 2025Ihr ausgezeichnetes Bild zeigt den neunjährigen Mahmoud Ajjour, der bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza Stadt im März 2024 beide Arme verlor. Ein paar Monate später durfte die palästinensische Pressefotografin den Jungen im gemeinsamen Wohnkomplex in Doha, Katar, fotografieren. Ihre Fotografien wurden bereits in der New York Times, der Neuen Zürcher Zeitung und Reuters publiziert. 

"Ich bereue es den Gazastreifen verlassen zu haben"

Samar Abu Elouf ist 42 Jahre alt, beim Interview trägt sie ein Kopftuch, sie hat sich das Fotografieren selbst beigebracht. Seit 2010 dokumentiert sie das tägliche Leben und die Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die Palästinenser in der Region. Mit Kriegsbeginn gewann das Fotografieren in ihren Augen noch mehr an Bedeutung. Bis Dezember 2023 arbeitete und lebte sie in Gaza – Angst hatte sie dabei nie. 

Ich bin inmitten ständiger Konflikte und mit den Geräuschen von Bomben und Demonstrationen aufgewachsen. Das ist sozusagen ein Teil meines Lebens “, erzählt sie. Nach zwei Monaten Krieg wurde Abu Elouf zusammen mit ihren vier Kindern dank der Vermittlung der New York Times nach Katar evakuiert. Im Gespräch gesteht sie aber ein: „Ich bereue es den Gazastreifen verlassen zu haben. Ich bin Teil dieser Gesellschaft.“

Im Interview will sie nicht über den politischen Kontext des Krieges reden, sondern ihre Arbeit und die Bedeutung dahinter in den Fokus stellen. Trotzdem ist aus mehreren Berichten bekannt, dass journalistisches Arbeiten unter der terroristischen Organisation Hamas im Gazastreifen gefährlich ist. Auch Israel attackiert immer wieder gezielt Journalisten im Gazastreifen und lässt keine internationalen Medien in das Kriegsgebiet.

Bevor sie beginnt über ihre Zeit in Gaza während des Krieges zu sprechen, überlegt sie länger und setzt zweimal an. „Ich habe versucht mich immer von meinen Gefühlen abzukapseln, wenn ich Bilder gemacht habe, weil ich auch manchmal Leichen fotografieren musste und das ist sehr hart. Wenn ich dann später die Fotos durchgeschaut habe, dann kamen alle Emotionen hoch. Jedes Bild zeigt mir eine Geschichte“, erklärt sie. 

Mit Bildern über das Leben berichten

Ein Bild ist ihr besonders in Erinnerung geblieben – ein elfjähriger Junge namens Khaled Jodah. Er hat nach seiner Mutter und seinen Geschwistern gesucht. In dem Moment habe ich im Krankenhaus fotografiert, rundherum gab es circa 170 Leichen. Mir ist das in Erinnerung geblieben, weil Khaled so laut geweint hat und mich das sehr traurig gemacht hat.“ Nachdem Abu Elouf kurze Zeit später evakuiert wurde, traf sie eine Verwandte von ihm. Als sie sich an den Moment zurückerinnert, verschlägt es ihr kurz die Sprache: „Ich habe sie nach Khaled gefragt, sie erzählte mir, dass er getötet wurde. In dem Moment konnte ich es nicht glauben.“ 

Danach holt sie kurz Luft: „Ich will mit diesen Bildern über unser Leben im Gazastreifen berichten. Wieso müssen wir so leben? Wieso müssen wir das Ganze durchmachen?“, wiederholt sie zweimal und wirkt dabei nicht wütend, sondern fassungslos, “Und dann berichte ich einfach über mich und mein Leben und meine Mitmenschen um mich herum.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie mit einem kleinen Lächeln hinzu: „Ich erzähle auch immer sehr gerne über das Leben vor dem Krieg. Wir hatten ein ganz normales.“

2025 World Press Photo of the Year winner announced

Das Bild zeigt den neunjährigen Mahmoud Ajjour, der bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza Stadt im März 2024 beide Arme verlor.

Das Bild von Mahmoud ist Teil eines Projektes verwundeter Überlebenden, die aus Gaza gekommen sind. Insgesamt hat Abu Elouf 22 Palästinenser fotografiert, die schwere Verletzungen vom Krieg davongetragen haben. Aber Mahmoud war der Einzige, der beide Arme verloren hatte. Ein Bild von vielen, das die Situation der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zeigt. Aber ein Bild, zu dem die Geschichte dahinter erzählt wird, von einem kleinen Jungen, der zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war, als die Bombe einschlug. 

Laut der Jury des World Press Photo spricht das Bild die langfristigen Kosten des Krieges an. Die Rolle des Journalismus sei es, bei der Aufdeckung dieser Realitäten zu helfen. Abu Elouf spricht ihre Rolle darin an: „Ich liebe meine Arbeit und es ist mir sehr wichtig, diese Botschaft zu übermitteln. Es ist mir wichtig über Gaza zu berichten, die Leute müssen wissen, was dort wirklich passiert. Und ich frage mich ständig, wieso es ausländischen Journalisten verboten ist, nach Gaza zu kommen und zu berichten.“

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