Neben der Essensverteilung steht ein Stand mit jungen Menschen, viele gepierct und über Laptops gebeugt. Sie gehören zur Initiative „Bestandsgruppe“, die Unterkünfte organisiert. Denn die Stadt gilt hier als überfordert. „Wir waren am Anfang zu dritt hier, jetzt sind wir hundert“, erzählt Justyna, die sonst für ein Filmfestival arbeitet. Die Freiwilligen kommen nach der regulären Arbeit her und arbeiten oft bis ein Uhr nachts. Sie haben bereits eigene Apps entwickelt, um die Ankommenden zu verteilen.
Initiativen wie diese sprießen gerade wie Pilze aus dem Boden. Sie entstehen aufgrund der Solidarität mit den Geflüchteten, außerdem ist Polen das wichtigste Zielland der Ukrainer.
Die Rückkehrer
Rund 1,5 Millionen leben hier, auch die Sprache ist ihnen nah. Der polnische Grenzschutz vermeldet seit 24. Februar mehr als 575.000 Grenzübertritte aus der Ukraine.
Nicht verzeichnet ist die Anzahl derjenigen, die zurückreisen. Ein hochgewachsener Mann mit gestutztem Bart und Militärrucksack gehört zu ihnen. Der junge Kanadier, dessen Frau ukrainische Wurzeln hat, mag reden, nur sein Name soll nirgends erscheinen: „Ich bin beeindruckt, wie sehr der ukrainische Präsident für sein Volk sorgt. Es bewegt mich, dass die Menschen so leiden.“ Auch bringe er eine militärische Ausbildung mit. „Ich habe nicht viel Vorbereitungen getroffen, ich bin so schnell wie möglich hierher.“
Das Gespräch wird unterbrochen, sein Begleiter mit Leuchtweste weiß nun, wo der Bus nach Lviv (Lemberg) abfährt. Dort wird er ein Anwerbungszentrum suchen.
Besuch bei der Mutter
Vor dem Bus nach Lviv wartet auch Jan. Der 57-jährige Ukrainer will zuerst zu seiner Mutter im ostukrainischen Poltava, dann zu den Truppen. Seinen gut bezahlten Job in den USA hat er aufgegeben. „Ich konnte dort nicht essen, nicht schlafen. Das ist mein Zuhause, wo ich hin will, verstehst Du?“
Die Reise ab Lviv ist nicht organisiert und gefährlich. Die russischen Truppen stoßen dort nach Süden vor. Dennoch wirkt der Ukrainer gelöst.
Noch riskanter dürfte eine Fahrt in die fast eingeschlossene Hauptstadt Kiew sein. Und doch steht im unbeleuchteten Teil des Bahnhofsplatzes ein Bus mit der Aufschrift „Kiyw“. „Es ist die letzte Fahrt“, sagt eine junge Ukrainerin in gutem Polnisch. Im unteren Bereich des Doppeldeckers liegen Windeln auf den Sitzen, Helfer tragen Kartons mit Essen und Medikamenten in den Gepäckraum, wo sich bereits Militärrucksäcke befinden.
In der oberen Etage sitzen hinter verdunkelten Scheiben einige wenige mutige Passagiere. „Wir sind vernetzt in Kiew und bekommen dann die sicherste Route vermittelt“, so die Angestellte der Buslinie, Julia. Sie ist eigentlich eine Juristin aus Kiew. Sie selbst bleibt vorerst aber hier; immer wieder kämpft sie mit den Tränen.
Die beiden Busfahrer, Aleksander und Wlodymir, beide nahe an der Pensionsgrenze, geben ihre Angst zu, auch wenn sie nach außen stoisch wirken. „Man muss eben“, wiederholt Wladimir mehrfach. Es gibt noch letzte Umarmungen mit den Helfern, der Bus muss bald losfahren. „Ich melde mich bei Ihnen am Freitag per WhatsApp, ob er angekommen ist“, verspricht Julia.
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