"Anstößige und gewaltsame Inhalte“
Heute ist die junge Poetin in den Sog selbst ernannter Tugendwächter geraten, die systematisch auf Drängen rechtskonservativer Organisationen Bücher aus Schulbibliotheken und Lehrplänen entfernen lassen. Generalverdacht: zu links. In Florida gelang es einer einzelnen Mutter, Gormans Werke mit „Hassbotschaften“ gleichzusetzen. Und dafür zu sorgen, dass sie Grundschülern nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wie weit der Furor reicht, zeigt sich gerade in Davis County im Mormonen-Bundesstaat Utah. Dort dürfen acht Volks- und Mittelschulen die Bibel nicht mehr benutzen.
Die Begründung: "Anstößige und gewaltsame Inhalte“, wie die Schulbehörde auf Antrag moralbehütender Eltern befand. Diese hatten im meistverkauften Buch aller Zeiten „Inzest, Masturbation, Sex mit Tieren, Prostitution, Genitalverstümmelung, Oralsex, Dildos, Vergewaltigung und Kindermord“ ausgemacht. Gottes Werk sei sozusagen Teufels Beitrag.
Das ist kein Einzelfall. Wie der Autorenverband „PEN America“ ermittelte und die „American Library Association“ (ALA) bestätigte, haben Zensur und Bücherverbote in den USA den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht. So wurden 2022 mehr als 2.500 Titel beanstandet, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Unter dem Vorwand, die „linke Indoktrinierung“ von Kindern mit Themen wie Rassismus, Sexualität und Geschlechter-Diversität verhindern zu müssen, treten die Wortführer der Bewegung mit dem Anspruch an, dass allein sie darüber zu befinden haben, was der moralischen Unversehrtheit ihrer Sprösslinge zugutekommt.
Dabei gehen die Zensoren strategisch und unerbittlich vor. Unterstützt von eng mit den Republikanern verquickten Lobby-Gruppen wie „Moms for Liberty“ oder der rechtskonservativen Organisation „No Left Turn in Education“ reichen einzelne Aktivisten oft Dutzende von Anträgen auf Verbannung von Büchern gleichzeitig ein. Als Grund wird angegeben, „Kinder schützen“ zu wollen. Das jeweilige Werk enthalte „unangemessenen Inhalt“, der „die Seele der Schüler beschädigt“, heißt es. Der Nachweis, dass das inkriminierte Buch tatsächlich gelesen, ganz zu schweigen auch verstanden wurde, bleibt aus.
Vorreiter Florida
Mit dieser Masche etwa hat es in Florida ein gewisser Bruce Friedman fertiggebracht, dass allein auf seine Initiative hin binnen weniger Monate über 100 Bücher aus den Bibliotheken im Schulbezirk Clay County entfernt wurden. Aber Friedman läuft sich erst warm. Der Ex-New Yorker hat öffentlich erklärt, er habe eine Liste von 3.600 Büchern zusammengestellt, die „besorgniserregenden Inhalt“ böten. Dabei geht meist um Sexualität, Homosexualität, die LGBTQ-Gemeinde und alle Facetten rund um das Transgender-Thema.
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Die mit Abstand meisten Verbotsanträge gibt es in republikanischen Bundesstaaten. Auch, weil der Gesetzgeber Vorarbeit geleistet hat. In Florida, wo der ideologisch rigorose Gouverneur Ron DeSantis ins Weiße Haus will, ist erst kürzlich das HB-1467-Gesetz in Kraft getreten. Es legt schwammige Kriterien für Schulbibliotheken fest: Nur altersgemäße und für die Schüler nachvollziehbare Inhalte, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Selbst Bibliothekare, die indizierte Bücher vorrätig haben, können in Florida belangt werden.
Bedrohung der offenen Gesellschaft
Präsident Joe Biden und die Demokraten sehen darin eine Bedrohung der offenen Gesellschaft – und einen Mikrokosmos im Kulturkrieg, der mit der Präsidentschaft Donald Trumps begonnen habe. Sie weisen darauf hin, dass in Umfragen mehr als 70 Prozent der Eltern gegen Bücherverbannungen seien. Die Präsidentschaftswahl 2024 wird damit auch eine Wahl über die Frage, was US-Schülerinnen und Schüler lesen dürfen – und was nicht.
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