US-Wahlen: Zwischen Traum und Wirklichkeit

US-Wahlen: Zwischen Traum und Wirklichkeit
Schenken die Wähler Trump ihr Vertrauen – wie 2016 die Bürger der einstigen Stahlstadt Monessen? Dort ist der Zorn auf ihn groß.

„Ob ich wütend bin?“, fragt Lou Mavrakis rhetorisch, „Leute, ich bin so was von stinksauer.“ Dann schiebt er den Besucher aus Washington ganz nah an das dreckige Schaufenster eines leer stehenden, von innen verfaulenden Ladens im fast menschenleeren Zentrum von Monessen und sagt: „Hier sieht es aus wie in Beirut.“ Der 81-Jährige, ein eingefleischter Demokrat, war bis vor kurzem Bürgermeister der 45 Autominuten südlich von Pittsburgh gelegenen Kleinstadt in Pennsylvania.

Mit einem Geniestreich gelang es dem Sohn griechischer Einwanderer im Präsidentschaftswahlkampf, die einst stolze Arbeiterstadt auf die Weltkarte zu bringen. Er lud aus der Not heraus Donald Trump ein, der heute, Dienstag, bei den Halbzeitwahlen im Kongress sein Zwischenzeugnis ausgestellt bekommt. Trump kam tatsächlich, redete, machte viele Versprechungen und Mut.

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28 Monate später zieht der pensionierte Stahlarbeiter-Gewerkschafter Bilanz: „Ich lass mich nicht mehr von Politikern verarschen, die in unsere Stadt kommen, den Mond versprechen und uns dann nur den nackten Hintern zeigen.“ Das dürften sich einige denken, die Trump damals erlebten.

Eine bessere Kulisse als die zusammengepressten Plastikflaschen, Suppen- und Cola-Dosen hätte man an jenem Junitag 2016 für Trump nicht erfinden können (Foto). In der Werkshalle von Alumisource in Monessen schickte er sich an, den Beweis dafür anzutreten, dass man Träume recyceln und in die Wirklichkeit überführen kann. Vor 200 Arbeitern wetterte Trump erstmals ausgiebig gegen die Verrohungen der Globalisierung und versprach, US-Stahl werde „wieder das Rückgrat unseres Landes“.

In Monessen, wo es einst 20.000 Stahlarbeiter gab, klangen die Worte besonders nach. Die dicken Seile der Golden-Gate-Brücke in San Francisco wurden hier gefertigt. In der Wirtschaftswunderzeit nach dem Zweiten Weltkrieg steckten in jedem Chrysler-Pkw stählerne Teile aus der Stadt. Geschichte. Der letzte Stahl wurde 1986 gegossen.

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Eine sterbende Stadt

Eine Kokerei ist neben dem Alu-Recycling-Unternehmen, das Trump beehrte, mit 180 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber. Gerade noch 7300 Einwohner leben in der Stadt. Wer jung ist, flieht. Mehr als 350 Privathäuser sind abrissreif. 30 einst stattliche Gebäude im Zentrum sind baufällig und dürfen aus Sicherheitsgründen nicht betreten werden.

Eine sterbende Stadt wie es Dutzende im „Rost-Gürtel“ Amerikas gibt. Mavrakis, ein sehniger, kleiner Mann mit hellwachen Augen, schrieb 2016 Präsident Barack Obama und bat ihn, sich die prototypische Misere anzusehen und Ideen mitzunehmen, wie man „einer kleinen Stadt wieder auf die Beine helfen kann, die mitgeholfen hat Amerika zu bauen“. Keine Reaktion, obwohl Monessen und das umliegende County demokratisches Stammland waren. Nach dem dritten Brief verlor der über drei Kilo mediterranes Temperament verfügende Mavrakis die Geduld und versuchte es bei Trump. „Ich hätte nicht gedacht, dass er tatsächlich auftauchen würde, aber er tat es.“

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Nur, geändert hat sich dadurch so gut wie nichts. „Dabei wäre es so einfach. Gebt mir zehn Millionen Dollar. Und ich schaffe hier in der Innenstadt echten Wandel“, sagt der mehrfache Opa, der Ende 2017 die Wiederwahl zum Bürgermeister verpasste. Die Wahlbeteiligung lag bei desaströsen 19 Prozent. Ein jüngerer Demokrat gewann. Seither agiert Mavrakis trotz Bypässen als Chef einer Entwicklungsgesellschaft, die „downtown“ revitalisieren will.

An die Rückkehr der Stahlindustrie „habe ich sowieso nie geglaubt“. Ebenso wenig, dass „Strafzölle auf Stahl aus dem Ausland dauerhaft etwas bewegen“. Monessen blutet wie Hunderte Kleinstädte steuerlich aus, weil angestammte Arbeitsplätze wegfallen, sagt der 81-Jährige. Es fehlt selbst das Geld, um die unansehnlichen Häuserzeilen abzureißen oder, wo sinnvoll, zu sanieren. „Ohne einladende Gebäude kein Einzelhandel. Ohne Einzelhandel keine Kunden und Menschen, die hier wohnen wollen. Ohne Kunden keine Steuereinnahmen und Arbeitsplätze“, doziert er. „Es ist keine Raketenwissenschaft, um zu erkennen, was hier schief läuft.“

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Starthilfe verweigert

Dass Präsident Trump es nicht fertiggebracht hat, trotz republikanischer Mehrheiten im Kongress, ein Schnell-Programm aufzulegen, das Städten wie Monessen Starthilfe gibt, „verzeih ich ihm nicht“, betont Mavrakis. Fünf Mal je zehn Millionen Dollar an Städte auszuloben und zu sehen, welche Modelle vorbildhaft sein könnten, das sei doch angesichts der Milliarden, die fürs Militär ausgegeben wurden, „nicht mal Trinkgeld“.

Heute wird sich zeigen, ob Trump durch Siege der Demokraten im Kongress zur lahmen Ente wird. Mavrakis schließt aber selbst dann seine Wiederwahl 2020 nicht aus: „Meine Demokraten müssten nur wieder den Fehler von Hillary Clinton machen: Wählerstimmen für selbstverständlich halten.“

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