US-Sicherheitsberaterin: "Putin will USA aus Europa raushaben"

Fiona Hill, 58, war von 2006 bis 2019 US-Sicherheitsberaterin und Russland-Expertin im Weißen Haus. Sie arbeitete unter George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump, gegen den sie im ersten Amtsenthebungsverfahren 2019 aussagte. Die in Nordengland geborene Tochter eines Minenarbeiters machte trotz wirtschaftlicher Probleme ihrer Familie Karriere: Mithilfe von Stipendien studierte sie an der schottischen Elite-Uni St. Andrews und verbrachte als Austauschstudentin ein Jahr in Moskau. Ein weiteres Stipendium führte sie nach Harvard.
Beim Amtsenthebungsverfahren gegen Trump verlieh sie ihrem Unbehagen über die Rolle, die sein persönlicher Anwalt, Rudy Giuliani, spielte, Ausdruck und verurteilte republikanische Abgeordnete dafür, Verschwörungstheorien der russischen Regierung zu verbreiten. Der KURIER sprach mit Hill, deren jüngstes Buch "There Is Nothing For You Here" ("Hier gibt es nichts für dich") 2021 erschienen ist, in ihrem Büro in der Brookings Institution, einem Thinktank.
KURIER: In Ihrer Biografie schreiben Sie, wie Trump Sie lange ignoriert hat, Sie für eine Sekretärin hielt und chauvinistisch behandelte. Sie haben unter drei sehr verschiedenen Präsidenten gearbeitet. Wie groß waren die Unterschiede?
Fiona Hill: George W. Bush war ein extrem netter Mensch, sehr höflich und sehr interessiert an allem, was ich zu sagen hatte. Man hat gemerkt, er will lernen, will mehr über die Materie, in meinem Fall Russland, erfahren.
Obama ist ein sehr zerebraler Mensch, er hörte mir ungeheuer intensiv zu, machte sich Notizen, aber er debattierte nicht. Ich merkte, dass er sich immer extrem gut auf unsere Meetings vorbereitet hat, und sehr gute, hintergründige Fragen stellte. Und Trump war einfach null interessiert. Das galt nicht nur für mich, es hat ihn niemandes Meinung interessiert.

Hill sagte im Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump aus
Politisch betrachtet, war Bush ein typischerer Republikaner, der die Außenpolitik seiner Vorgänger weiterführte. Der Demokrat Obama war bei der Innenpolitik ein Innovator, aber bei der Außenpolitik setzte er auch auf Kontinuität. Trump war kein Ideologe, er wollte der Präsidentschaft nur seinen persönlichen Stempel aufdrücken. Ihn hat nur seine eigene Macht interessiert, nicht das Wohl des Landes. Er war weder Republikaner noch Demokrat, er war nur Trump.
Sechs Tage nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, waren Sie zu Gast in der Stephen Colbert-Talkshow und gaben Ihre Überraschung kund, dass die Russen so lange brauchten, um das Land einzunehmen. Jetzt dauert der Krieg schon fast sechs Monate. Haben Sie das falsch eingeschätzt?
Jeder von uns, der sich mit der Ukraine auskennt, war davon überzeugt, dass sie sich wehren würde. Aber alle Analysen über die militärischen Kapazitäten Russlands besagten, dass die Russen viel mehr Militärmacht hätten und es für die Ukrainer sehr schwierig sein würde, dem lange standzuhalten. Die Ukrainer haben das widerlegt.
Die Russen wiederum haben vieles falsch eingeschätzt, weil sie glaubten, die Ukrainer würden schnell kapitulieren. Sie haben auch nicht mit der enormen militärischen sowie politischen Unterstützung für die Ukraine aus Amerika und Europa gerechnet. Man darf hier die Rolle von Polen und Rumänien nicht unterschätzen.

Putin sehe den Ukraine-Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA, sagt Hill.
Wie wird es Ihrer Meinung nach ausgehen?
Wie jeder, der sich je mit Geschichte befasst hat, weiß, haben wir eine sehr kritische Phase in diesem Krieg erreicht. Sechs Monate sind der Punkt, wo Kriege oft aus einem von drei Gründen enden: beide Seiten haben sich so verausgabt, dass sie aufgeben und an den Verhandlungstisch gehen, es gibt eine entscheidende Schlacht oder der Krieg wird auf internationaler Ebene ausgefochten. Es ist sehr schwer zu beurteilen, in welche Richtung es jetzt gehen wird, nur eines ist klar: Wir müssen mit einem langen Krieg rechnen.
Ich sehe eine Chance – und zwar, dass die Regierungen all der Länder, die nicht unbedingt Alliierte von Wladimir Putin sind, sich aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht klar gegen ihn aussprechen – wie Malaysien, Indien, Indonesien und einige Länder Afrikas und Südamerikas – erklären, dass es genug ist.
Wäre das wirklich eine Lösung?
Es wären keine einfachen Verhandlungen, denn wie wir längst wissen, enden die Pläne Russlands nicht mit der Eroberung des Donbass. Außenminister Sergej Lawrow hat das ganz klar gesagt. Da geht es um Odessa, um das Schwarze Meer, und Moldawien – und die baltischen Staaten machen sich zurecht Sorgen.
Ich befürchte, wir schnallen uns besser gut an, denn wir haben eine schwierige Reise vor uns. Und es ist schwer zu sagen, was und wo das Ziel ist.
Rebekah Koffler, die ehemalige Russland-Expertin des Pentagon, meinte, dass Putins Pläne weit über die Ukraine hinausgehen. Sehen Sie das auch so?
Ja. Putin will die USA aus Europa raushaben. Er hat tatsächlich gesagt, Amerika hätte ein Imperium, eine Kaisermacht in Europa. Dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg Europa besetzt hätten, und dass Russland sich am Ende des Kalten Krieges aus Europa zurückgezogen habe, aber Amerika geblieben sei. Das ist natürlich nicht die Sicht der USA und ihrer europäischen Partner, die das als ein beiderseitiges, transatlantisches Abkommen betrachten.
Putins Ziele sind der Rückzug der USA und der NATO. Und damit ist der Ukraine-Konflikt in Wirklichkeit ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA in Putins Augen. Und Staaten in Afrika, Latein- und Südamerika, die amerikanische Einmischung miterlebt haben, unterschreiben das natürlich. Dazu kommt, dass Putin seit 2016 alles getan hat, um die Schwächen der USA auszubeuten, angefangen mit seiner Einmischung in die Präsidentenwahl.
Trump war einfach null interessiert. Das galt nicht nur für mich, es hat ihn niemandes Meinung interessiert
über den Ex-Präsidenten
Ist das nicht schon länger der Fall?
Ja, denn wir dürfen nicht vergessen, dass viele Schwächen der Amerikaner selbst verschuldet sind. Russland nützt sie nur aus. Die Russen haben nicht den Rassismus erfunden, aber sie nützen ihn seit den 1950er-Jahren aus. 2016 waren sie beteiligt an der Unterdrückung der Wahlrechte der Schwarzen. Niemand kann sagen, wie erfolgreich das war, aber die Anzeichen dafür gab es.
Welche Rolle spielen Bodenschätze für Putin?
Putins Gründe für den Einmarsch in die Ukraine sind natürlich auch wirtschaftliche. Er sah die Abhängigkeit anderer Länder von Öl und Gas schwinden, weil aufgrund der Klimaabkommen mehr Geld in grüne Energie gesteckt wird. Wie wir wissen, ist die Ukraine einer der größten Getreideproduzenten der Welt, erzeugt Speiseöl und Düngemittel.
Werden Europa und Amerika so vereint bleiben, wie es derzeit aussieht?
Das hängt von vielen Faktoren ab, dem Fall der Draghi-Regierung in Italien, dem Aufstieg von Marine Le Pen in Frankreich, wer neuer Premier in Großbritannien wird und wie in den USA die Kongresswahlen im November ausgehen. Diplomatie ist wichtiger denn je, und auch die Rolle der Vereinten Nationen.
Sie saßen einmal bei einem Staatsdinner neben Putin. Wie war das?
Es war in Moskau, er hat zwei Worte mit mir gewechselt und dann nichts mehr gesagt. Was mich am meisten überraschte, war, dass er keinen Bissen anrührte und keinen Schluck aus seinem Wasserglas machte. Und das in seinem eigenen Land!
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