Ukrainischer Parlamentspräsident in Wien: "Neutralität bietet keinen Schutz"

Ukrainischer Parlamentspräsident in Wien: "Neutralität bietet keinen Schutz"
Ruslan Stefantschuk warb in Wien leidenschaftlich für einen EU-Beitrittskandidatenstatus für sein Land.

Am Dienstag war der Präsident der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, im österreichischen Nationalrat zu Gast. Nach einer kurzen Begrüßungsrede durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka durfte Ruslan Stefantschutschuk selbst zu den Abgeordneten sprechen. Und zu den Zuschauern zu Hause.

Zunächst wollte Stefantschuk seinen "tiefen Dank gegenüber dem österreichischen Volk ausdrücken": "Wir werden niemals vergessen, dass die Menschen in Österreich nicht nur die Türen ihrer Häuser und Wohnungen, sondern auch die Türen zu ihren Herzen für uns Ukrainer geöffnet haben." Diese Gesten der Menschlichkeit und Solidarität "bleiben unvergessen".

Doch Stefantschuk sprach auch warnende Worte aus, vor allem im Bezug auf Österreichs Außenpolitik: "Die Neutralität bietet keinen Schutz vor den imperialen Gebietsansprüchen des Aggressors", warnte er davor, dass Russland wohl bei einem positiven Kriegsausgang nicht bei der Ukraine Halt machen würde.

Diese Einsicht habe bereits einige Länder ihre Verteidigungspolitik überdenken lassen - und auch die neutralen Staaten Finnland und Schweden zu einem NATO-Beitrittsgesuch bewegt. Dass er das Österreich ebenfalls nahelege, sprach Stefantschuk nicht direkt aus. Es blieb aber impliziert, als er den Wiener Autor Stefan Zweig zitierte: "Wenn du Frieden wünschst, bereite den Krieg vor."

Ukrainischer Parlamentspräsident in Wien: "Neutralität bietet keinen Schutz"

Der hünenhafte Parlamentspräsident der Ukraine, Ruslan Stefantschuk (l.), neben seinem österreichischen Amtskollegen Wolfgang Sobotka.

Russland sei ein Aggressor, der stets "hybride Kriege" führe, so Stefantschuk. Meist seien dabei drei Phasen zu beobachten: "In der ersten Phase versuchen sie, gezielt Falschinformationen und Propaganda in einem anderen Land zu verbreiten. Die zweite Phase besteht darin, dass sie versuchen, ein Land wirtschaftlich völlig von ihnen abhängig zu machen. Erst dann, in der dritten Phase, rollen die Panzer." Dass diese dritte Phase momentan nur in der Ukraine stattfinde, sei klar, sagte Stefantschuk. Man müsse aber genauso erkennen, "dass sich der Rest Europas bereits in der zweiten Phase befindet".

EU-Beitrittskandidatenstatus wäre "riesige Motivation" für Ukrainer

Zum Ende kam der ukrainische Hüne zum "Hauptziel" seines Besuchs. Die Ukraine verteidige nicht nur ihr eigenes Territorium, sondern auch "die Grenzen des zivilisierten Europas". Deshalb sei es aus seiner Sicht klar, "dass die Ukraine zu Europa gehört". Davon wolle er bei seinen Besuchen in europäischen Parlamenten auch die "vielen, vielen Kollegen" überzeugen.

Es sei beiden Seiten klar, dass es hier nur um eine Aufnahme in die Reihen der EU-Beitrittskandidaten gehe und ein endgültiger Beitritt noch in weiter Ferne liege. Für die Ukrainer, so Stefantschuk, "würde das aber eine riesige Motivation bedeuten, ihren Widerstand in diesem Krieg fortzusetzen". Sein Volk bestehe aus "den größten EU-Fans", denen alleine eine symbolische Geste unheimlich wichtig wäre.

Auch die EU-Bürger seien mehrheitlich für einen Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine. Schließlich hatte Stefantschuk auch noch ein pragmatischeres Argument parat: "Außerdem glaube ich, dass auch die österreichische Wirtschaft nach diesem Krieg einem freien Zugang zu einem Markt mit 45 Millionen Menschen nicht ganz abgeneigt wäre."

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