Scharfe Kritik an Russland wegen gestoppter Getreide-Exporte
EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat Russlands erneute Blockade von ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer kritisiert. Die Entscheidung gefährde "die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise", schrieb der EU-Chefdiplomat am Sonntag auf Twitter. Die EU fordere Moskau dringend dazu auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.
Russland hatte am Wochenende die Aussetzung eines im Juli unter Vermittlung der Türkei und der UNO geschlossenen Abkommens verkündet. Es hatte die monatelange Blockade der ukrainischen Getreideausfuhren im Zuge des russischen Angriffskrieges beendet. Als Grund für die Aussetzung gab Russland Drohnenangriffe auf die Schwarzmeerflotte in der Stadt Sewastopol auf der 2014 von Moskau völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim an. Die Ukraine sei von Großbritannien unterstützt worden. Großbritannien wies die Anschuldigungen als falsch zurück.
Am Sonntag wiederholte das Verteidigungsministerium die Anschuldigung und erklärte, Briten hätten den Angriff geleitet. Die Drohnen seien mit kanadischen Steuermodulen ausgerüstet gewesen, teilte das Ministerium außerdem mit. Dies habe die Analyse der Wrackteile ergeben.
"Fingierte Terrorattacken"
Die Sicherheit des für die Getreidetransporte eingerichteten Korridors könne nicht mehr gewährleistet werden, hatte es zuvor als Begründung für den Stopp aus Moskau geheißen. Diese Darstellung wies die ukrainische Regierung scharf zurück. Russland habe Angriffe auf eigene Einrichtungen erfunden. Der ukrainische Präsidentenberater Andrij Jermak sprach von "fingierten Terrorattacken".
Es gebe überhaupt keine Anhaltspunkte, dass die Explosionen auf der besetzen Krim am 29. Oktober Grund für Russlands Ausstieg aus dem Getreide-Abkommen seien, sagte der ukrainische Botschafter in Österreich, Wassyl Chymynez, in einer schriftlichen Erklärung gegenüber der APA. Die lange Warteschlange von Frachtschiffen zeige, dass der Kreml bereits im September den Entschluss gefasst habe, den ukrainischen Export zu blockieren. Der Diplomat warnte in diesem Zusammenhang vor einer drohenden sozialen und politischen Destabilisierung in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien. Auch brachte Chymynez gleichzeitig die Erwartung zum Ausdruck, dass Partner der Ukraine den Druck auf Russland erhöhten, um eine Wiederaufnahme des Getreide-Korridors zu ermöglichen.
Auch die USA kritisierten die neue russische Blockade von Getreideexporten aus der Ukraine und forderten eine Wiederaufnahme der Lieferungen. Präsident Joe Biden nannte das russische Vorgehen am Samstag empörend und betonte, dass es für mehr Hunger auf der Welt sorgen werde. "Russland setzt Nahrungsmittel erneut als Waffe in dem Krieg, den es begonnen hat, ein", sagte US-Außenminister Antony Blinken.
"Die Reaktion Washingtons auf den Terrorangriff auf den Hafen Sewastopol ist ungeheuerlich", schrieb dagegen der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, auf Telegram. Die "rücksichtlosen Aktionen des Regimes in Kiew" seien bisher nicht verurteilt worden.
Russland hatte am Samstagabend UNO-Generalsekretär António Guterres offiziell über die Aussetzung des Abkommens informiert. Wegen der Angriffe setze Moskau das Abkommen auf unbestimmte Zeit" aus, so der russische UNO-Botschafter. "Den russischen Vertretern im gemeinsamen Koordinierungszentrum in Istanbul, das für die Umsetzung der Initiative zuständig ist, wurden entsprechende Anweisungen erteilt", hieß es weiter. Zudem beantragte Russland in der Angelegenheit eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrates für Montag, wie aus Kreisen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen verlautete.
Die Vereinten Nationen wollten die Hoffnung auf ein Fortbestehen des Deals trotz der Äußerungen aus Moskau zunächst noch nicht aufgegeben. "Wir stehen mit den russischen Behörden in dieser Sache in Kontakt", sagte ein UNO-Sprecher in New York. "Es ist unerlässlich, dass alle Seiten jegliche Handlungen unterlassen, die das Getreideabkommen gefährden, das eine entscheidende humanitäre Anstrengung ist, die eindeutig einen positiven Einfluss auf den Zugang zu Lebensmitteln für Millionen von Menschen weltweit hat."
Das vor drei Monaten ausgehandelte Abkommen sollte den weltweiten Anstieg der Getreidepreise dämpfen. Die Ukraine ist einer größten Exporteure des Grundnahrungsmittels weltweit. Viele Entwicklungsländer sind vom Import vergleichsweise preiswerten Getreides abhängig.
Abkommen seit 22. Juli
Seitdem Russland und die Ukraine am 22. Juli das Abkommen unterzeichnet haben, wurden mehrere Millionen Tonnen Mais, Weizen, Sonnenblumenprodukte, Gerste, Raps und Soja aus der Ukraine exportiert. Voraussetzung war die Aufhebung der Blockade ukrainischer Häfen und die Schaffung sicherer Korridore durch das Schwarze Meer für die Frachter. Vertreter der UNO hatten sich noch Mittwoch zuversichtlich gezeigt, dass die ursprünglich auf 120 Tage begrenze Vereinbarung über Mitte November hinaus verlängert werden könne.
Russland drohte allerdings schon seit Wochen mit einem möglichen Stopp des Getreidedeals. Der ukrainische Präsident Selenskyj beklagte bereits in den vergangenen Tagen, dass Russland die Durchfahrt der mit Getreide beladenen Schiffe blockiere.
Es sei "keine gemeinsame Vereinbarung über die Aus- und Einfahrtsbewegungen von Frachtschiffen am 30. Oktober erzielt" worden, erklärte das internationale Koordinationszentrum (JCC) für Getreideexporte in Istanbul in der Nacht zum Sonntag. Die Aufsichtsbehörde sei von Russland über "Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Frachtschiffen" informiert worden und habe diese an die türkischen und ukrainischen Delegationen weitergeleitet, hieß es weiter. Dem Koordinationszentrum zufolge hatten am Samstag neun Frachter den Korridor im Schwarzen Meer passiert und "mehr als zehn weitere" Schiffe stünden bereit, um ihn "in beide Richtungen" zu durchqueren.
Zu dem Angriff auf der Krim hatte die Regierung in Moskau am Samstag erklärt: "Heute Morgen um 4.20 Uhr ist vom Kiewer Regime ein Terroranschlag auf die Schiffe der Schwarzmeerflotte verübt worden." Insgesamt hätten 16 Drohnen Sewastopol angegriffen, die meisten seien aber abgefangen worden. Das Minenräumschiff "Iwan Golubez" und auch Anlagen in einer Bucht seien leicht beschädigt worden, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Österreich fordert zur Einhaltung auf
Kritik an den gestoppten Getreide-Exporten kommt auch aus Österreich: "Wir verurteilen die unilaterale Entscheidung Russlands", hieß es am Sonntag in einer Stellungnahme des Außenministeriums. Damit missbrauche Russland erneut auf zynische Art und Weise Nahrungsmittel als Waffe und gefährde damit massiv die globale Versorgung mit dringend benötigten Lebensmitteln. Leidtragende seien insbesondere jene Menschen, die bereits jetzt von Hunger, Armut und humanitären Krisen weltweit betroffen seien, hieß es weiter. Russland spiele erneut leichtfertig mit dem Leben und den Lebensgrundlagen von Millionen besonders verwundbarer Menschen. "Wir fordern Russland dringend auf, die getroffenen Vereinbarungen zu respektieren und seiner internationalen Verantwortung nachzukommen."
Auch die Sprecherin der SPÖ für globale Entwicklung, Petra Bayr, verwies in einer Aussendung am Sonntag darauf, dass nun "zusätzlich tausende Menschen extremen Hunger ausgesetzt" seien. "Die russische Aufkündigung darf nicht so einfach hingekommen werden. Die Weltwirtschaft darf sich nicht von Russland erpressen lassen", sagte Bayer. Um noch mehr Elend und Hunger in den betroffenen Regionen zu verhindern, müsse deswegen noch mehr in humanitäre Hilfen wie dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) investiert werden. Vom deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hieß es laut "Tagesspiegel", das Abkommen habe "zur Entspannung der globalen Märkte beigetragen und Millionen Menschen satt gemacht". Dessen einseitige Aussetzung durch Moskau sei "angesichts von weltweit Millionen Hungernden unverantwortlich". Auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte Russland zur Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Abkommen für ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer auf.
Polen teilte am Sonntag mit, zusammen mit den Partnern in der EU stehe man bereit, um der Ukraine nach der Aussetzung des Getreide-Abkommens beim Transport von Grundnahrungsmitteln zu helfen. Das Außenministerium in Warschau erklärte, die Blockade zeige einmal mehr, dass die Moskauer Regierung nicht Willens sei, internationale Verträge einzuhalten.
Die Ukraine hat immer wieder erklärt, die von Russland seit 2014 besetzte Krim zurückerobern zu wollen. Die Stadt Sewastopol auf der Halbinsel ist für Moskau wichtig als Basis der Schwarzmeerflotte. Immer wieder wird die Halbinsel auch von Explosionen erschüttert, für die Russland die Ukraine verantwortlich macht. Kiew schweigt dazu meist. Am 8. Oktober etwa war die für den Nachschub der russischen Invasionstruppen in der Ukraine wichtige Kertsch-Brücke zwischen Russland und der Krim durch eine Explosion schwer beschädigt worden.
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