Trumps Friedensplan trifft Selenskij in seinem absolut schwächsten Moment
Wolodimir Selenskij, ukrainischer Präsident
An Zufälle glaubt in der Ukraine kaum ein Kommentator mehr. Gerade mal zwei Wochen ist es her, dass Wolodimir Selenskij in die tiefste Krise seiner Amtszeit stürzte, ein Korruptionsskandal in seinem engsten Umfeld kam da ans Licht. Seither sanken seine Umfragewerte auf einem neuen Tiefststand, und selbst in seiner ihm sonst treu ergebenen Partei laufen die Mandatare davon. Zeitgleich rücken die Russen an der Front unaufhaltsam vor. Da soll es keine Absicht sein, dass Donald Trump dem angezählten Selenskij seinen Friedensplan auf den Tisch knallt?
Rechte Hand im Zwielicht
Die 28 Punkte, die die USA in geheimen Absprachen mit Moskau erarbeitet haben und die einer Kapitulation der Ukraine gleichkommen, stürzen Selenskij in ein Dilemma. Er hatte 2019 die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Korruption aus dem Land zu verbannen. Nun steht der 47-Jährige selbst im Schatten des größten Bestechungsskandals seiner Amtszeit: Involviert in die 100 Millionen Dollar schweren Verbrechen waren nicht nur ein enger Geschäftsfreund Selenskijs und zwei seiner Minister, auch seine rechte Hand Andrij Jermak soll davon gewusst haben. Er ist die wichtigste Stütze Selenskijs, organisiert dessen politisches Leben bis ins Detail; vielen Ukrainern gilt er darum aber schon lange als undurchsichtiger „Schattenpräsident“ – im Sommer hatte er sogar versucht, die Befugnisse jener Korruptionsermittler zu beschneiden, die ihn nun im Visier haben.
Selenskij, im Umgang mit Medien mehr als geschult, wirkt seit dem Skandal wie gelähmt. Er will Jermak nicht fallen lassen, wohl weil er eine viel zu große Rolle für ihn spielt; ungestraft davonkommen lassen kann er ihn aber auch nicht. Auch dem laut geäußerten Wunsch des Westens nach Wahlen kann er kaum nachkommen: Die wären rechtlich fragwürdig, weil die Bevölkerung in den besetzten Gebieten nicht teilnehmen kann, sagt er seit Jahren. Dazu kommt aber, dass er einen Urnengang auch verlieren würde: Schon vor dem Skandal hätten ihn nur mehr 25 Prozent gewählt.
Der Friedensplan macht seine Lage noch misslicher. Abnicken kann er kaum, was Trump und Putin ihm abverlangen, das würde gegen den Willen der Bevölkerung gehen. Gebietsabtretungen etwa halten knapp 60 Prozent der Ukrainer für inakzeptabel, selbst unter dem Eindruck der jüngsten Gewinne der Russen hat sich das nicht geändert. Ebenso unmöglich ist, dass er der Forderung nach einer De-facto-Demilitarisierung der Ukraine zustimmt. Laut Trump soll das Land künftig nur mehr 600.000 Soldaten verfügen – das wäre weniger als ein Drittel der jetzigen Mannstärke samt Reserve und eine Einladung für einen neuerlichen Angriff Moskaus.
Gebietsabtretungen: Zentral ist die Souveränität der Ukraine, jedoch unter Abtretung der Krim und der kompletten Regionen Donezk und Luhansk. Cherson und Saporischschja werden an der Frontlinie aufgeteilt.
Nichtangriffspakt: Zwischen Russland, der Ukraine und Europa wird ein Nichtangriffsabkommen beschlossen, die Zahl der ukrainischen Armee auf 600.000 Soldaten reduziert – und Kiew darf niemals der NATO beitreten.
Sicherheitsgarantien: Die Ukraine erhält verlässliche Sicherheitsgarantien von den USA, allerdings ist nicht klar in welcher Form. Dazu wird gedroht, dass die Ukraine jegliche Garantien umgehend verliert, wenn sie Russland angreift. Moskau hat im Falle eines neuerlichen Krieges eine „entschlossene koordinierte militärische Reaktion“ zu erwarten. Eine internationale Truppe zur Absicherung eines Friedens kommt in dem Plan nicht vor; auch wäre es NATO-Soldaten untersagt, sich auf ukrainischem Territorium aufzuhalten.
Rehabilitierung: Russland soll wieder in die Weltwirtschaft integriert werden und der G-8 beitreten. Die Ukraine soll ein 200-Milliarden-Dollar-Paket zum Wiederaufbau erhalten, 100 Milliarden steuern die USA aus ihrem beschlagnahmten russischen Staatsvermögen bei – die EU hingegen muss ihr beschlagnahmtes russisches Staatsgeld an Moskau zurückzahlen.
Teurer Frieden für Europa
Kiew versucht darum händeringend, ein Treffen mit Trump zu arrangieren und die Details des Plans abzumildern, auch die Europäer tun das. In Berlin, London, Brüssel und Paris arbeite man an einem Gegenentwurf, hieß es, dazu wurde Selenskij gebetsmühlenartig der Rücken gestärkt.
So richtig laut widersprechen wollten Europas Politspitzen Trump aber auch nicht, wohl aus Erfahrung. In einem gemeinsamen Statement hieß es geradezu höflich, dass „jedes Abkommen, das europäische Staaten, die EU oder die NATO betrifft, die Zustimmung der europäischen Partner oder einen Konsens unter den Verbündeten erfordert“.
Dass man nicht eingeweiht war, wurde den USA nur hinter den Kulissen vorgeworfen. Doch dass Washington das groß interessiert, ist nicht anzunehmen, schließlich geht der ganze Plan zu Lasten der Europäer: Geht es nach Trump, können die Amerikaner ihre eingefrorenen russischen Staatsgelder – immerhin 100 Milliarden Dollar – in den Wiederaufbau der Ukraine investieren und daran auch noch verdienen. Die Europäer hingegen müssten ihre eingefrorenen 220 Milliarden ohne Widerrede an Moskau zurücküberweisen; das Geld für den Wiederaufbau müssten sie aus der eigenen Tasche zahlen.
Die Amerikaner ließen am Freitag auch wenig Zweifel daran, warum der Friedensplan ausgerechnet jetzt durchgesickert war. Kiew hätte die Details am Donnerstag vor der offiziellen Veröffentlichung ja zu sehen bekommen, hieß es da aus Washington. Da habe die Ukraine lediglich einen der 28 Punkte verändern wollen – die verpflichtende Aufdeckung von Korruption.
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