Hunderte Streubombenopfer im Ukraine-Krieg

Russia's attack on Ukraine continues, in Kharkiv region
Dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes zufolge lahmt die russische Offensive.

Tag 183 im Ukraine-Krieg:

International geächtete Streumunition ist nach Angaben von Beobachtern in diesem Jahr weltweit nur in der Ukraine eingesetzt worden. Russland habe in seinem Angriffskrieg große Mengen davon abgeschossen, berichtete die internationale Streumunition-Koalition am Donnerstag in Genf.

Seit der russischen Invasion im Februar seien bis Ende Juni mindestens 215 Menschen getötet und weitere 474 durch Streumunition verletzt geworden, hieß es.

Vermutlich seien die Zahlen viel höher. Nicht alle Fälle würden erfasst. Auf russischer Seite spricht die Koalition von Hunderten Einsätzen, die dokumentiert oder gemeldet wurden, aber nicht alle unabhängig geprüft werden konnten, auf ukrainischer Seite von drei.

Mit Streumunition werden viele kleinere Sprengsätze bezeichnet, die in Behältern aus Flugzeugen und Raketenwerfern abgeschossen werden. Sie werden wahllos und großflächig verteilt und explodieren. Viele landen auch als Blindgänger in Böden und töten oder verletzen Menschen noch Jahre später. Die allermeisten Opfer sind Zivilisten.

Ein Übereinkommen von 2008 verbietet unter anderem den Einsatz von Streumunition und schreibt die Zerstörung von Beständen vor. 123 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet. Darunter sind 24 NATO-Staaten, aber nicht die USA. Weder Russland noch die Ukraine gehören dem Übereinkommen an. Die Streumunition-Koalition besteht aus Nichtregierungsorganisationen in aller Welt, die die Einhaltung des Übereinkommens überwachen.

Russland hat Tempo seiner Angriffe reduziert

Dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes zufolge lahmt die russische Offensive. "Russland hat das Tempo seiner Angriffe recht stark verlangsamt“, sagte Kyrylo Budanow. "Der Grund dafür ist die Erschöpfung ihrer Ressourcenbasis sowie eine Ermüdung von Moral und Physis durch die Kämpfe.“

Zudem sprach er davon, dass die russischen Flugabwehrsysteme auf der annektierten Halbinsel Krim „nicht wirklich funktionieren“. Sie könnten nicht das von der Ukraine eroberte Gebiet verteidigen. Die russische Regierung hat erklärt, der Einsatz in der Ukraine sei gezielt verlangsamt worden, um die Zivilbevölkerung zu schonen.

Selenskij: Die Ukraine wird ewig bestehen

Die Ukraine hatte am Mittwoch den 31. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion begangen. „Unsere Unabhängigkeit endet nicht und wird niemals enden“, sagte Selenskij in seiner Videoansprache vom Mittwochabend.

Trotz der bedrohlichen Lage werde es auch einen 32. Unabhängigkeitstag und einen 33. und alle folgenden geben. „Die Ukraine wird ewig bestehen.“

Immer wieder Luftalarm

Angesichts der Gefahr russischer Angriffe waren die sonst üblichen Militärparaden am Feiertag abgesagt worden.

Auf der Hauptstraße Chreschtschatyk in Kiew wurden stattdessen zerstörte russische Panzer und anderes erbeutetes Kriegsgerät zur Schau gestellt.

Den Feiertag über herrschte in der Ukraine immer wieder Luftalarm. Im Gebiet Chmelnyzkyj im Westen des Landes waren nachmittags schwere Explosionen zu hören, wie Gouverneur Serhij Hamalij mitteilte.

Wenige Minuten zuvor hatten oppositionelle belarussische Aktivisten angeblich den Abschuss von vier Raketen aus Belarus registriert.

Auch zwei russische Bomber seien von dort gestartet. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Machthaber Alexander Lukaschenko stellt Belarus den russischen Truppen als Aufmarschgebiet zur Verfügung.

Die ukrainische Armee griff ihrerseits in der Nacht auf Donnerstag russische Munitionsdepots hinter der Front an.

Ukraine fordert mehr "echte Waffen" von Deutschland

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow hat Deutschland aufgerufen, die Lieferung von Leopard-Panzern aus anderen Ländern zu genehmigen. "Sie könnten ihnen die Erlaubnis erteilen, uns die Panzer zu geben. Darum bitten wir die Deutschen: Gebt uns die Werkzeuge und wir erledigen den Job", sagte Resnikow am Mittwoch den ARD-Tagesthemen. Resnikow forderte "mehr als nur Freundschaft und Lippenbekenntnisse."

Die Ukraine hätte zudem gerne mehr "echte Waffen, wie zum Beispiel den MARS II Raketenwerfer." Man habe 3 Stück, aber wenn man 12 hätte, wäre es "noch besser".

Eine diplomatische Lösung des Krieges gegen Russland schließt Resnikow zurzeit aus: "Das Ziel von Verhandlungen ist ein Traum unserer Partner. Im Moment ist das kein Traum der Ukraine." Der Wunsch seines Landes sei es, sämtliche vorübergehend besetzte Gebiete in der Ukraine zu befreien.

Erster Angriff auf einen Personenzug

In dem halben Jahr seit dem Einmarsch in die Ukraine haben russische Truppen oft Eisenbahnanlagen beschossen, um ukrainische Nachschubwege zu unterbrechen. Im April wurden bei einem Raketentreffer auf den Bahnhofsvorplatz von Kramatorsk im Donbass nach ukrainischen Angaben 57 Menschen getötet.

Bei Tschaplyne wurde aber wohl zum ersten Mal ein Personenzug getroffen. Erste noch nicht verifizierte Bilder zeigten mehrere ausgebrannte Waggons auf einem Bahndamm.

Zu den 22 Toten rechnete Selenskij auch fünf Opfer, die in einem Auto nahe der Gleise ums Leben gekommen waren.

In einem anderen Ort des Gebietes Dnipropetrowsk wurde nach Angaben der Gebietsverwaltung ein elfjähriges Kind durch Beschuss getötet. Dabei hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch gesagt, seine Armee habe ihre Angriffe verlangsamt, um die ukrainische Zivilbevölkerung zu schonen.

Rüstungshilfe für drei Milliarden US-Dollar

Die USA sagten der Ukraine Militärhilfen für drei Milliarden US-Dollar zu.

Mit dem Geld aus dem neuen US-Rüstungspaket könne die Ukraine Luftabwehrsysteme, Artilleriesysteme und Munition sowie Drohnen und Radargeräte erwerben, „um sich langfristig verteidigen zu können“, sagte Biden. Der US-Präsident gratulierte der Ukraine zu ihrem Jahrestag. Dieser zeige, „dass die Ukraine stolz darauf ist, eine souveräne und unabhängige Nation zu sein - und es auch bleiben wird“. Die Vereinigten Staaten seien entschlossen, das ukrainische Volk im Kampf um die Verteidigung seiner Souveränität zu unterstützen.

Russlands Präsident Wladimir Putin scheine zu glauben, dass sein Land mit dem stärkeren Kampfeswillen über die Ukraine und die internationale Gemeinschaft triumphieren könne, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. „Dieses US-Paket ist ein greifbarer Beweis dafür, dass dies eine weitere russische Fehlkalkulation ist.“

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