AKW Saporischschja wurde laut Ukraine erneut beschossen

Ukrainian servicemen fire a 2S7 Pion self-propelled gun at a position in Donetsk region
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij warnt indes vor weiteren atomaren Notfällen.

Zwei der sechs Reaktoren am Atomkraftwerk Saporischschja sind nach Angaben der Betreibergesellschaft wieder am ukrainischen Netz. Die Ukraine und weite Teile Europas sind nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj nur knapp einer nuklearen Katastrophe entgangen. Europas größtes Atomkraftwerk in Saporischschja im Südosten der Ukraine sei über mehrere Stunden vom Stromnetz getrennt gewesen, was zu einem Super-GAU hätte führen können, sagte Selenskyj.

In dem Atomkraftwerk besteht nach Angaben des Betreibers allerdings das Risiko des Austritts von Radioaktivität. Die Anlage sei erneut "mehrmals" beschossen worden, teilte der staatliche ukrainische Energiekonzern Energoatom am Samstag mit. Dadurch sei die Infrastruktur des größten Atomkraftwerks Europas beschädigt worden. Nach Angaben des Betreibers lief das Akw gegen Samstagmittag "mit dem Risiko, Radioaktivitäts- und Feuerschutz-Standards zu verletzen".

Seit einigen Wochen werden die Gegend des Akw Saporischschja und auch Teile des Werksgeländes immer wieder beschossen, die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Erst am Freitag war das Kraftwerk nach eintägiger Unterbrechung wieder ans ukrainische Stromnetz angeschlossen worden. Zuvor waren alle sechs Reaktoren nach Angaben von Energoatom vom ukrainischen Stromnetz genommen worden.

In einer Videoansprache in der Nacht auf Samstag warnte Selenskyj vor weiteren Notsituationen: "Ich möchte betonen, dass die Situation sehr riskant und gefährlich bleibt. Jede Wiederholung (...) wird das Kraftwerk erneut an den Rand einer Katastrophe bringen." Einmal mehr forderte er einen baldigen Besuch internationaler Experten sowie den Rückzug der russischen Truppen von dem AKW-Gelände, das diese seit März besetzt halten.

Das Atomkraftwerk wird seit März von russischen Truppen besetzt, aber weiterhin von ukrainischen Technikern betrieben. "Russland hat die Ukraine und alle Europäer in eine Situation gebracht, die nur einen Schritt von einem atomaren Desaster entfernt war", sagte Selenskyj. "Jede Minute, die die russischen Truppen noch in dem nuklearen Kraftwerk bleiben, ist ein Risiko für eine globale atomare Katastrophe." Die Anlage ist in den vergangenen Wochen mehrfach unter Beschuss geraten. Russland und die Ukraine geben sich dafür gegenseitig die Schuld. Reuters kann die Angaben unabhängig nicht überprüfen.

Wladimir Rogow, ein von Russland ernannter Beamter in der besetzten Stadt Enerhodar in der Nähe des Kraftwerks, machte die ukrainischen Streitkräfte für den jüngsten Vorfall verantwortlich. Sie hätten ein Feuer in einem Wald in der Nähe des Kraftwerks verursacht. Die Städte in der Gegend seien mehrere Stunden lang ohne Strom gewesen, schrieb Rogow auf Telegram. Wie Selenskyj fordern auch westliche Staaten, dass Russland die Kontrolle über das AKW wieder an die Ukraine übergibt, was die Regierung in Moskau zurückweist. Zudem soll die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA die Meiler inspizieren, was Russland in Aussicht gestellt hat.

Die russische Armee hat nach britischen Erkenntnissen ihre Angriffe in der Ostukraine zuletzt wieder verstärkt. In den vergangenen fünf Tagen habe die Intensität russischer Attacken nahe der Großstadt Donezk wieder zugenommen, teilte das Verteidigungsministerium in London am Samstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Mit den Angriffen wollten die russischen Truppen vermutlich zusätzliche ukrainische Truppen im Osten binden, um eine erwartete ukrainische Gegenoffensive im Süden des Landes zu erschweren, hieß es.

Es habe heftige Kämpfe nahe der Städte Siwersk und Bachmut nördlich von Donezk gegeben. Truppen der moskautreuen Separatisten seien vermutlich weiter ins Zentrum des Dorfes Pisky nahe des zerstörten Flughafens Donezk vorgedrungen, hieß es weiter. Insgesamt hätten die russischen Einheiten aber nur wenige Geländegewinne verzeichnet.

Medwedew: Moskau "unter Bedingungen" zu Gesprächen mit Ukraine bereit

Unterdessen hat der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew dem französischen Fernsehsender LCI ein Interview gegeben und darin den Angriffskrieg gegen die Ukraine gerechtfertigt. Der 56-Jährige gilt als Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin. Er ist ein glühender Verfechter des Kriegs.

„Es wird sogar eine militärische Spezialoperation durchgeführt, damit es nicht zum Dritten Weltkrieg kommt“, sagte Medwedew in dem viertelstündigen Gespräch. Ungeachtet der vielen zivilen Opfer nannte der jetzige Vizechef des nationalen Sicherheitsrats das Vorgehen Russlands in der Ukraine „maximal schonend und gemäßigt“. 

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Medwedew sieht Russlands Regierung "unter bestimmten Bedingungen" zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten bereit. Russland werde seine "militärische Spezialoperation" aber fortsetzen, bis es seine Ziele erreicht habe.

Medwedew zufolge würde jedoch auch ein offizielles Nein der Ukraine zu einem NATO-Beitritt den Krieg in der Ukraine nicht beenden. "Der Verzicht auf einen Beitritt zur nordatlantischen Allianz ist jetzt von absolut entscheidender Bedeutung, reicht aber nicht aus, um Frieden zu schaffen", sagte er demnach und rechtfertigte den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

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