Tunesischer Präsident löst seit Monaten suspendiertes Parlament auf
In Tunesien hat das Parlament erstmals seit seiner Entmachtung durch Präsident Kaïs Saïed getagt und die vom Staatschef verordnete Neuordnung des Staates widerrufen. Rund 120 Abgeordnete lehnten am Mittwoch in einer Online-Sitzung die "außergewöhnlichen Maßnahmen" ab, mit denen Saïed seit Juli vergangenen Jahres die demokratische Verfassung von 2014 außer Kraft gesetzt hat und allein regiert. Der Präsident kündigte daraufhin im Fernsehen an, er werde das Parlament auflösen.
Saïed hatte am Montag gewarnt, dass die Streitkräfte gegen "diejenigen vorgehen werden, die Tunesier zum Kampf getrieben haben". Beobachter gingen nicht davon aus, dass durch den Parlamentsbeschluss die Stellung des Präsidenten geschwächt wird. "Wir haben keine Angst, eine legitime Institution zu verteidigen", sagte die Abgeordnete Jamina Soglami von der gemäßigt islamistischen Ennahda-Partei. "Das Volk hat uns nicht das Vertrauen entzogen. Der Präsident hat das Parlament mit einem Panzer geschlossen." Ennahda ist mit einem Viertel der Sitze die stärkste Partei im Parlament. Örtlichen Medien zufolge leitete der Justizminister nach der virtuellen Sitzung ein Verfahren gegen die Abgeordneten ein wegen des Vorwurfs einer "Verschwörung gegen die Staatssicherheit".
Der Verfassungsrechtsprofessor Saïed wurde 2019 mit dem Versprechen, gegen Korruption vorzugehen, mit einem erdrutschartigen Sieg zum Präsidenten gewählt. Seit der Entmachtung des Parlaments regiert er per Dekret. Sein Vorgehen rechtfertigt er mit der Notwendigkeit, einen politischen und wirtschaftlichen Stillstand in Tunesien zu überwinden und die Coronavirus-Pandemie in den Griff zu bekommen. Seine Gegner werfen ihm einen Putsch vor und fürchten um die demokratischen Errungenschaften, die sie mit der Revolution von 2011 erlangten.
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