Österreichs "Gastarbeiter"-Kinder: Zwischen Çay und Schnitzel

Esra Șahinol als Kleinkind: Ihr Großvater und ihre Eltern kamen Ende der 1960-er Jahre als "Gastarbeiter" aus Konya.
Ihre Eltern kamen als Arbeitsmigranten, sie selbst wurden zwischen Österreich und der Türkei erwachsen. Was Heimat für die "Gastarbeiter"-Kinder heute bedeutet.

"Fachkräftemangel führt zu Wertschöpfungsverlust von Milliarden Euro"; "Zahl der Unternehmen, die Stellen streichen wollen, ist so hoch wie zuletzt in der Finanzkrise"; "Fachkräftemangel in Österreich weiterhin größtes Risiko für Unternehmen".

Es ist ein medialer und wirtschaftlicher Dauerbrenner: fehlende qualifizierte Arbeitskräfte in der Pflege, Industrie, bei IT und Tourismus. Ähnlich war es in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg: Arbeitskräfte waren rar, während in Ländern wie in der Türkei die Arbeitslosigkeit groß war. Die Lösung: "Gastarbeiter" aus dem Ausland, die temporär nach Österreich kommen sollten.

Am 15. Mai 1964, vor genau 60 Jahren, wurde das Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei unterzeichnet. Offizielle Anwerbekommissionen halfen bei der Vermittlung, nach und nach wurde Mundpropaganda der Schlüssel zum Weg nach Österreich.

Die Arbeitskräfte waren eigentlich nur als "Gäste" gedacht, hätten nach ein paar Monaten "ausgetauscht" werden sollen. Diese pragmatische Idee scheiterte jedoch: Gastarbeiter holten ihre Familien nach und verlegten ihren Lebensmittelpunkt nach Österreich; gleichzeitig widersetzten sich viele Firmen, immer neue Arbeitskräfte einzuschulen und nur befristete Verträge auszustellen.

Zwischen 1961 und 1974 kamen rund 265.000 "Gastarbeiter" nach Österreich; 1973 waren davon 11,8 Prozent türkische Staatsbürger (78,5 Prozent jugoslawische Staatsbürger). Heute haben 288.000 Menschen in Österreich türkischen Migrationshintergrund, 42 Prozent sind in Österreich geboren. Die Hälfte der 288.000 besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, so die Zahlen des Österreichischen Integrationsfonds.

Was den meisten "Gastarbeitern" damals gemein war: Sie kamen mit nichts, aus den ärmsten Verhältnissen, und arbeiteten in körperlich anstrengenden Berufen. Viele träumten davon, in der Pension in die Türkei zurückzukehren, die wenigsten haben sich den Wunsch erfüllt. Auch weil plötzlich Österreich zur Heimat wurde. Ihre Kinder, heute Erwachsene, sind jene Generation, die zwischen zwei Welten aufgewachsen ist, zwischen türkischem Tee, genannt Çay, und (Kalbs-)Schnitzel. Die Türkei und Österreich, beides nennen sie "Zuhause", und erlebten trotzdem hier wie dort das Gefühl des Fremdseins.

Esra und Mahmut Șahinol (beide 41) sind Ärztin und Rechtsanwalt.

Esra und Mahmut Șahinol (beide 41) sind Ärztin und Rechtsanwalt.

Mahmut Șahinol (im Wagen links) als Kind im Steinbauerpark in Mediling.

Mahmut Șahinol (im Wagen links) als Kind im Steinbauerpark in Mediling.

"Die Türkei? Ein Urlaubsland für uns"

Esra und Mahmut Șahinol lernten sich während des Studiums kennen. "Ich habe nachts im Lernraum des Alten AKHs gelernt", erinnert sich der Rechtsanwalt. Spätnachts lernen, das ist bei dem 41-Jährigen wohl aus der Kindheit hängen geblieben. Damals hat sich Mahmut, wenn seine beiden Geschwister und Eltern schon schliefen, in die Küche der 33 Quadratmeter Wohnung geschlichen, um seine Hausaufgaben zu machen. "Mein Vater wollte Geld sparen, um eines Tages in die Türkei zurückzukehren." Zweimal hat es die Familie versucht, ging nach Antalya, für jeweils ein Jahr. Mahmut war damals sechs und 14 Jahre alt. "Es war schon schlimm, ich hatte ja hier meine Freunde." Sein Vater, Installateur, der darauf gedrängt hatte, hat es jedoch  nie geschafft, nachzukommen, und holte die Familie immer wieder zurück.

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