Kein Versagen nach der Erdbebenkatastrophe konnte sie abhalten, keine Günstlingswirtschaft ganz oben an der Staatsspitze, nicht einmal die politisch motivierte Misswirtschaft, die für die Familie daheim das Leben zum Überleben machte: Österreichs Türken haben sich auch in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen klar für Amtsinhaber Erdoğan entschieden, mehr als 73 Prozent der Stimmen gingen an ihn.
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Menschen vom Land, tief religiös und konservativ: Mit dieser Erklärung ist man bei Fragen, wer denn diese Türken in Österreich eigentlich seien, schnell zur Hand. Zu schnell, wie Faime Alpagu, aus der Türkei stammende Soziologin an der Uni Wien, meint: „Wenn es ein Grundgefühl gibt, dass viele der Türken in Österreich vereint, dann ist es, benachteiligt zu sein.“
Es ist ein Gefühl, das ihre Väter mitgebracht haben, damals, als sie Anfang der 1970er-Jahre nach Österreich kamen: „Die damaligen Regierungen in der Türkei dachten elitär. Sie hatten eine Türkei vor Augen, die modern, städtisch und europäisch sein sollte. All jene, die dem nicht entsprachen wurden ausgegrenzt. An sie hat man sich nicht gewandt.“
Es war dieses Gefühl, das die AKP mit Recep Tayyip Erdoğan an der Spitze auf dem Weg an die Macht für sich nützte, damals zu Beginn der 2000er-Jahre, – in der Türkei und auch unter den Türken in Österreich. Denn das Gefühl an den Rand gestellt zu werden, sollte die Türken in Österreich begleiten, über die Jahrzehnte und über die Generationen hinweg.
In ihren vielen Gesprächen ist die Soziologin diesem Gefühl der Enttäuschung fast durchgehend begegnet: „Sie kamen mit dem Traum, dass es ihren Kindern nicht nur wirtschaftlich besser gehen sollte als ihnen, sondern auch, dass sie besser in die österreichische Gesellschaft integriert wären. Viele bedauern es sehr, dass das nicht so geklappt hat, wie sie es sich gewünscht hatten.“
Warum das in so vielen Fällen so daneben ging, dafür gibt es eine Unzahl von Gründen, Alpagu nennt nur einige davon. Die heimischen Schulen etwa, die den türkischen Kinder oft viel zu wenig Unterstützung bieten konnten. Die Eltern arbeiteten Schicht, die Kinder blieben unbetreut; erlebten den alltäglichen Rassismus in Österreich und wurden obendrein ständig zwischen den Verwandten in der alten Heimat und Österreich hin und her geschickt.
„Kofferkinder“, nannten sie die Soziologen. Und diese Kofferkinder haben – auch wenn es ihnen heute wirtschaftlich besser geht – das Trauma ihrer Eltern übernommen: „Es war ein Schock, nicht willkommen zu sein – und dieser Schock saß tief. Er bleibt – und mit ihm das Misstrauen gegenüber der österreichischen Mehrheitsgesellschaft.“
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