"Eine Militärintervention der USA in Venezuela würde Lateinamerika spalten“
Mindestens 87 Tote nach Angriffen auf „Drogenboote“, ein gestürmter Öltanker und nun schließt er sogar Bodentruppen explizit nicht mehr aus: Seit Wochen erhöht US-Präsident Donald Trump den Druck auf Venezuelas Machthaber Nicolás Maduro – und damit auf die gesamte Karibikregion.
Im Fokus steht dabei vor allem Venezuelas Nachbarland Kolumbien, über Jahrzehnte der wichtigste Verbündete Washingtons in Lateinamerika und heute mit Präsident Gustavo Petro an der Spitze sein schärfster Kritiker, wie die kolumbianische Politologin Sandra Borda in einem Online-Panel des Presseclubs Concordia erklärt.
Einziger Kritiker
Gekriselt hat es zwischen den beiden Staatschefs bereits seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus: Etwa, weil sich Petro, Kolumbiens erster linksgerichteter Staatschef, gegen Abschiebeflüge aus den USA stemmte. Oder, weil Washington ihm mangelnde Entschlossenheit im Drogenkampf vorwirft und Sanktionen verhängt hat. Mit der massiven Verstärkung der US-Militärpräsenz in der Karibik ist die Lage aber eskaliert. Letzte Woche ließ Trump Petro ausrichten, „er könnte (nach Maduro, Anm.) der Nächste sein“. Auch Petro, zu Beginn von Trumps Amtszeit noch um Mäßigung bemüht, hat die Rhetorik verschärft. Borda: „Heute ist Petro praktisch der Einzige in der Karibik, der die USA offen kritisiert.“
Drohkulisse in Karibik: Seit September haben die USA ihre Militärpräsenz in der Karibik drastisch erhöht. Begründet wird das Vorgehen offiziell mit dem Kampf gegen den „Drogenterrorismus“. Beobachter sehen darin jedoch eine Strategie, um einen Machtwechsel in Caracas zu erzwingen.
Neue Priorität: In ihrer jüngst erschienen Nationalen Sicherheitsstrategie bekräftigen die USA die Monroe-Doktrin und wollen Lateinamerika wieder unter US-amerikanische Vorherrschaft bringen.
In der kolumbianischen Bevölkerung verfängt das: Mehr als die Hälfte unterstütze laut der Politologin das harte Auftreten gegenüber Trump. Gleichzeitig gebe es – vor allem im rechten Lager und in der mit den USA eng verflochtenen Privatwirtschaft – auch viele Befürworter einer möglichen US-Intervention in Venezuela, um Maduro zu stürzen. Da im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen anstehen, habe das Thema jedenfalls innenpolitisches Gewicht. Die Opposition habe sich mit großen Debatten – etwa nachdem Trump zuletzt auch Kolumbien mit Militärschlägen gedroht hatte – bislang dennoch zurückgehalten. „Sie will Petro nicht zum Märtyrer des amerikanischen Imperiums stilisieren. Das würde ihm in die Karten spielen.“
Gratwanderung
Auch Mexiko, das mit den USA eine Grenze teilt und mächtige Drogenkartelle beheimatet, die Washington als Terrororganisationen einstuft, hat Trump zuletzt ähnliche Drohungen ausgerichtet. Diese seien ernst zu nehmen, sagt der mexikanische Politologe Carlos Pérez Ricart. Seit Längerem wachse insbesondere in republikanischen Kreisen die Unterstützung für begrenzte, einseitige Militäroperationen gegen kriminelle Gruppen auf mexikanischem Boden. Das heißt: Drohnenangriffe, gezielte Schläge oder kurze grenzüberschreitende Missionen. „Diese Vorschläge prägen derzeit die US-Debatte über Mexiko.“
Ob und in welchem Umfang die USA tatsächlich eine militärische Intervention in Venezuela erwägen – zumal diese in der amerikanischen Bevölkerung äußerst unpopulär ist – sei ungewiss. Klar sei jedoch: „Jede Art von militärischer Intervention hätte erhebliche Folgen für Mexiko.“
So wäre etwa eine neue Migrationswelle aus Venezuela Richtung Norden wahrscheinlich. „Innerhalb von Wochen würde das zu einer humanitären und politischen Herausforderung für Mexiko.“ Auch die Sicherheitslage würde sich verschärfen, weil kriminelle Netzwerke, die in und rund um Venezuela operieren und eng mit mexikanischen Gruppen zusammenarbeiten, auf die Situation rasch reagieren, also z. B. ihre Routen, Lieferketten und Partner ändern. „Diese Anpassungen führen erfahrungsgemäß zu lokalen Konflikten und erhöhter Gewalt.“
Ein militärisches Eingreifen würde zudem eine diplomatische Krise in der Region provozieren. „Eine Intervention der USA in Venezuela würde Lateinamerika spalten“, so Pérez. Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum, bislang für ihren pragmatischen Kurs gegenüber Trump gelobt, geriete zwischen die Fronten: Eine Unterstützung widerspräche der mexikanischen Doktrin der Nichteinmischung und würde sie innerhalb ihrer linken Partei schwer beschädigten. Offene Kritik wiederum würde die Beziehungen zu Washington gefährden. Und Neutralität wäre – angesichts steigenden Migrations- und Sicherheitsdrucks – ebenfalls kaum haltbar.
Wie aufgeladen das Thema ist, hat zuletzt Daniel Noboa zu spüren bekommen: Der konservative Präsident Ecuadors gilt als treuer Trump-Unterstützer. Er hat nach seiner Wiederwahl im April versucht, US-Militärstützpunkte in seinem Land, das sich zur Drehscheibe des internationalen Drogenhandels entwickelt hat, wieder zuzulassen. Dem haben die Ecuadorianer jedoch eine klare Absage erteilt: Bei einer Volksabstimmung im November fuhr Noboa eine herbe Niederlage ein.
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