Sharon O’Neill aus Newbury tritt aus der Menge und legt den Strauß mit pinken Blumen auf dem schmalen Grünstück vor der Palastmauer von Windsor Castle ab. Sie wischt sich über die Augen, wischt die Tränen weg. Ihr Blick schweift über die Palastmauer, hinauf zur Union-Jack-Fahne, die auf halbmast hängt und keinen Zweifel an der Nachricht lässt: Königin Elizabeth, Englands geliebte Regentin, ist nicht mehr.
Die 70-jährige Sharon hat die Nachricht über den verschlechterten Gesundheitszustand der Königin Donnerstagmittag im Radio gehört – „Und danach habe ich mich nicht mehr vom Fernseher wegbewegt.“ Gebannt habe sie die Nachrichten geschaut und alle Familienmitglieder durchgerufen, erzählt sie, während ihre rot-weiß-blaue Platinum-Jubilee-Fahne, die sich als Cape umgehängt hat, im Wind flattert.
"Es war eine Ehre, ihnen zu dienen"
Dann tritt sie zur Seite; die nächsten Trauergäste stehen mit Sträußen, Karten oder ganzen Blumenstöcken bereit. Ein buntes Blumenmeer erstreckt sich Freitag Mittag vor der Palastmauer. Die Nachrichten auf den Grußkarten sind persönlich, fast schon vertraut. „Es war eine Ehre, Ihnen zu dienen“, schreibt John Sunderland vom 7. Fallschirm-Kommando. „Es ist so schade, dass sie dahinscheiden mussten“, steht auf einer anderen Karte, „aber Sie sind nun wieder mit ihrem geliebten Philipp vereint.“ Und die fünfjährige Lara hat eine Zeichnung angefertigt.
Charlotte Alsop nimmt soeben den Kugelschreiber in die Hand und beginnt zu schreiben: „An unsere wahrlich wunderbare Königin Elizabeth.“ Die 37-jährige Royalistin wollte eigentlich zum Buckingham Palace, doch der Zug hatte eine Panne, sie wurde nach Windsor umgeleitet und hat schnell Blumen besorgt: „Lilien für Lilibet (Queen Elizabeths Spitzname, Anm.)“
Steter, schwarz gekleideter Menschenstrom
Es ist ein steter Menschenstrom, der sich am frühen Nachmittag Richtung Schloss bewegt. Stewards in violetten Sicherheitswesten bitten die Gäste, vor dem Ablegen der Blumen bitte das Plastik abzunehmen und auf der schmalen Straße zwischen dem Haupteingang des Schlosses und jenem Tor, das auf die Allee öffnet, bringt ein Parkwart rot-gelbe Schilder an: Parkverbot bis 21. September. Grund: Königliches Begräbnis. Das Land ist in Staatstrauer.
Die Briten erweisen ihrem ehemaligen Staatsoberhaupt ganz selbstverständlich die letzte Ehre. Journalistinnen und Journalisten sind in dunklen Farben gekleidet, einige Schuldirektoren weisen ihre Lehrer an, mit schwarzer Krawatte, die Lehrerinnen in passendem Outfit zu erscheinen. Für viele wäre aber sowieso nichts anderes infrage gekommen.
„Man muss seinen Teil beitragen“, sagt Christine Preston, die, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, The Long Walk entlang Richtung Schloss pilgert. Als Anrainerin meidet sie die touristischen Teile Windsors eigentlich, ist sowohl für Hochzeiten als auch für Jubiläen dem Schloss ferngeblieben. Aber der Tod der Königin ist ein „big deal“, da müsse man entsprechend Respekt zollen.
"Die Queen ist etwas anderes"
Emily Richards und Freundin Louise sehen das genauso, für Prinz Philipps Begräbnis seien sie nicht angereist, „aber die Queen ist etwas anderes.“. Sie knien mit ihren kleinen dreijährigen Buben vor dem Blumenmeer. Die Buben sind nur einen Moment still, als sie die Blumen ablegen, bevor sie beginnen, herumzualbern. Trotzdem wollten die Mütter unbedingt mit ihnen hierherkommen. „Wer weiß, ob wir so einen Moment, so ein Ereignis noch einmal erleben.“
Die 42-jährige Liz Payne aus Reading nickt. „Die Queen war 25, als sie gekrönt wurde. Charles ist jetzt schon 73, William ist über 40. Das kann nicht mehr das Gleiche sein.“
Die neue Hymne
Und dann ist natürlich schon jetzt nichts mehr gleich, ergänzt ihr Vater, Phil Willis, der sechs Monate alt war, als die Queen gekrönt wurde. An die neue Hymne würde man sich gewöhnen müssen. Neue Briefmarken werden kommen, neue Münzen und Banknoten. „Komisch“, sagen viele, fühle sich diese neue Ära an. Und: „Irgendwie haben wir gedacht, es würde nie passieren.“
Vor dem Schlosstor wendet sich Sharon O“Neill in ihrem Cape zum Gehen. Das Begräbnis nächste Woche wird sie im Fernsehen verfolgen. Mit Blick auf die Anrichte, auf der sie Briefe der Queen aufgestellt hat. „Jedes Mal hat sie auf meine Glückwünsche zurückgeschrieben.“ Die silber-violette Krone, die Sharon zum Platinjubiläum gebastelt hat, wird sie wieder herausholen. Und aus dem Fenster wird die Flagge wehen, die sie bereits am Donnerstag aufgehängt hat. „Als kleine Geste, als Zeichen, dass wir sie nicht vergessen werden.“
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