Syrien: Verwirrung um Angriff auf UN-Hilfskonvoi
Sie hätten Nahrung, Wasser und Medikamente für 78.000 Menschen in die Kleinstadt Urum al-Kubra bringen sollen. Am Ende waren 18 von 31 Lastwagen des UN-Hilfskonvois zerstört, 20 Zivilisten tot.
USA machen Russland verantwortlich
Für die USA weisen alle Informationen zu dem Angriff auf den Hilfskonvoi auf einen Luftangriff hin. "Und damit können nur Russland oder die syrische Regierung hinter der Tat stecken", sagte der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Ben Rhodes, am Dienstag (Ortszeit) in New York.
"Auf jeden Fall machen wir Russland für Luftangriffe in dieser Gegend verantwortlich", sagte Rhodes.
Russland weist alle Vorwürfe zurück
Die Regierung in Moskau weist entsprechende Vorwürfe jedoch entschieden zurück. "Mit Empörung nehmen wir die Versuche wahr, der russischen und der syrischen Luftwaffe die Verantwortung für den Zwischenfall zu geben", hieß es nach Angaben der Agentur Interfax in einer Mitteilung des Ministeriums am Dienstag.
Es habe darüber hinaus offenbar gar keinen Angriff aus der Luft gegeben. Auf Videoaufzeichnungen sei gut sichtbar, dass Terroristen mit einem Lastwagen den Konvoi begleiten würden, hieß es seitens des russischen Verteidigungsministeriums. "Auf dem Fahrzeug steht ein großkalibriger Granatwerfer", sagte Generalmajor Igor Konaschenkow.
Nach dem Angriff stoppte die UNO am Dienstag alle Hilfslieferungen in das Bürgerkriegsland. Insbesondere die katastrophale Versorgungslage in der seit Monaten heftig umkämpften Stadt Aleppo dürfte sich damit noch weiter zuspitzen.
Der seit mehr als fünf Jahren anhaltende Konflikt hat bereits rund 400.000 Menschenleben gefordert. Neben den Todesopfern und der Zerstörung des Landes ist der Krieg für die Vertreibung von fast fünf Millionen Menschen verantwortlich. Der nunmehr gescheiterte Waffenstillstand galt als vielversprechendster Versuch der internationalen Gemeinschaft, den Bürgerkrieg in Syrien, dessen Konfliktparteien ohne ausländische Einmischung wohl schon längst am Ende wären, zu beenden.
"De Telegraaf" (
Amsterdam)
"Ohne ausländische Einmischung wären vermutlich sowohl die Regierung als auch die Rebellen längst am Ende. Aber sie bekommen immer wieder neue Lieferungen von Geld, Waffen und Truppen, wodurch sie in die Lage versetzt werden, weiter zu kämpfen. Verschiedene Staaten stellen ihre eigenen strategischen Interessen in den Vordergrund, nicht das Schicksal der Syrer. Dadurch ist dieser Konflikt so kompliziert, mit so vielen verschiedenen Akteuren und wechselnden Allianzen, dass eine Lösung immer weiter in die Ferne rückt.
Die wichtigste Vorbedingung für eine Vereinbarung (über eine friedliche Lösung) besteht darin, dass Russland und Amerika sich auf eine gemeinsame Linie verständigen. Statt dessen beschuldigen einander die beiden Großmächte nur gegenseitig, für das Ende der Waffenruhe verantwortlich zu sein. Dabei scheut Russland selbst vor Lügen nicht zurück. Dass es jede Verantwortung für den tödlichen Angriff auf einen Hilfskonvoi zurückweisen würde, war zu erwarten."
"
Guardian" (
London)
"Der Angriff (auf einen Hilfskonvoi) scheint die Totenglocke für eine Waffenruhe gewesen zu sein, die nach langwierigen Verhandlungen ohnehin nur mit Vorbehalten als Schritt nach vorn angesehen worden war. Sie sei nicht tot, aber stark gefährdet, erklären die Hauptakteure. Doch nach dem Angriff ist es schwer, eine Waffenruhe noch als ein sinnvolles Konzept für
Syrien anzusehen. Niemand ist begeistert über Versuche, sie wiederzubeleben. Und niemand ist darauf erpicht, durch einen neuen Hilfsgütertransport zu testen, ob sie eingehalten werden würde. Dennoch sind Verhandlungen zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow der einzige zur Verfügung stehende Weg, wie (der britische Außenminister) Boris Johnson zu Recht mahnte. Barack Obama, der einst kühn von roten Linien im Falle des Einsatzes von Chemiewaffen sprach, kann nur noch den Ruf nach 'harter Diplomatie' wiederholen. Mit einem Präsidenten am Ende seiner Amtszeit haben die USA Moskau nichts mehr entgegenzusetzen; ihre beste Hoffnung ist, dass Russland zu Verhandlungen mit einer Administration unter Hillary Clinton bereit sein wird."
"Dagbladet" (
Oslo)
"Gestern sollte ein neuer Versuch unternommen werden, die Waffenruhe zu retten. Aber mit so vielen kriegsführenden Parteien ist es äußerst schwierig, und es braucht wenig, bis die Kämpfe von Neuem entbrennen. Das ist zum Verzweifeln, sowohl für die hilflosen syrischen Kriegsopfer als auch für die, die ihnen helfen wollen. Die UN seien machtlos, heißt es. Aber der Punkt ist: Es gibt weder eine Waffenruhe noch Frieden in Syrien, bevor die kriegsführenden Parteien mitmachen und die Waffen ruhen lassen. Fremde Mächte kämpfen in Syrien um etwas viel Größeres als Syrien, aber es sind die Syrer, die bluten."
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