Syrien: Verwirrung um Angriff auf UN-Hilfskonvoi

Nach einem Bombenanschlag stehen zerstörte Lastwagen zwischen Trümmern.
USA geben Russland die Schuld an dem verheerenden Angriff. In Moskau weist man die Vorwürfe zurück. Es habe sich wahrscheinlich nicht einmal um einen Luftangriff gehandelt.

Sie hätten Nahrung, Wasser und Medikamente für 78.000 Menschen in die Kleinstadt Urum al-Kubra bringen sollen. Am Ende waren 18 von 31 Lastwagen des UN-Hilfskonvois zerstört, 20 Zivilisten tot.

Wer ist verantwortlich für diesenverheerenden Angriff? Klarheit in dieser Frage ist auch zwei Tage nach dem Zwischenfall nicht absehbar. Schon die Frage, ob es sich um einen Luftangriff gehandelt hat oder nicht, ist strittig. Fix ist nur: Eine Einigung im Syrien-Konflikt ist damit wieder in weite Ferne gerückt, der von den USA und Russland mühsam ausverhandelte Waffenstillstand endgültig Geschichte. Bei einem Luftangriff am Mittwoch sind wieder vier Mitarbeiter einer Hilfsorganisation getötet worden (mehr dazu hier).

USA machen Russland verantwortlich

Für die USA weisen alle Informationen zu dem Angriff auf den Hilfskonvoi auf einen Luftangriff hin. "Und damit können nur Russland oder die syrische Regierung hinter der Tat stecken", sagte der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Ben Rhodes, am Dienstag (Ortszeit) in New York.

"Auf jeden Fall machen wir Russland für Luftangriffe in dieser Gegend verantwortlich", sagte Rhodes.

Ein ausgebrannter Lastwagen steht auf einer Straße.
Damaged aid trucks are pictured after an airstrike on the rebel held Urm al-Kubra town, western Aleppo city, Syria September 20, 2016. REUTERS/Ammar Abdullah
Aus US-Regierungskreisen hatte es kurz zuvor bereits geheißen, zwei russische Kampfjets des Typs SU-24 hätten die Lkws angegriffen. Die Maschinen seien nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes genau zum Zeitpunkt der Bombardierung über dem Konvoi gewesen. Das führe zu dem Schluss, dass das russische Militär verantwortlich sei.

Russland weist alle Vorwürfe zurück

Die Regierung in Moskau weist entsprechende Vorwürfe jedoch entschieden zurück. "Mit Empörung nehmen wir die Versuche wahr, der russischen und der syrischen Luftwaffe die Verantwortung für den Zwischenfall zu geben", hieß es nach Angaben der Agentur Interfax in einer Mitteilung des Ministeriums am Dienstag.

Es habe darüber hinaus offenbar gar keinen Angriff aus der Luft gegeben. Auf Videoaufzeichnungen sei gut sichtbar, dass Terroristen mit einem Lastwagen den Konvoi begleiten würden, hieß es seitens des russischen Verteidigungsministeriums. "Auf dem Fahrzeug steht ein großkalibriger Granatwerfer", sagte Generalmajor Igor Konaschenkow.

Ein ausgebrannter LKW steht am Straßenrand, während eine Person das Innere des Laderaums inspiziert.
A damaged truck carrying aid is seen on the side of the road in the town of Orum al-Kubra on the western outskirts of the northern Syrian city of Aleppo on September 20, 2016, the morning after a convoy delivering aid was hit by a deadly air strike. The UN said at least 18 trucks in the 31-vehicle convoy were destroyed en route to deliver humanitarian assistance to the hard-to-reach town. / AFP PHOTO / Omar haj kadour
Auch die Vereinten Nationen, wo man zunächst noch von einem Luftschlag ausgegangen war, äußerten Zweifel daran, dass der Hilfskonvoi tatsächlich durch eine Bombardierung aus der Luft zerstört worden war. "Wir sind nicht in der Lage festzustellen, ob es sich tatsächlich um einen Luftangriff gehandelt hat", sagte ein UNO-Sprecher.

Nach dem Angriff stoppte die UNO am Dienstag alle Hilfslieferungen in das Bürgerkriegsland. Insbesondere die katastrophale Versorgungslage in der seit Monaten heftig umkämpften Stadt Aleppo dürfte sich damit noch weiter zuspitzen.

Der seit mehr als fünf Jahren anhaltende Konflikt hat bereits rund 400.000 Menschenleben gefordert. Neben den Todesopfern und der Zerstörung des Landes ist der Krieg für die Vertreibung von fast fünf Millionen Menschen verantwortlich. Der nunmehr gescheiterte Waffenstillstand galt als vielversprechendster Versuch der internationalen Gemeinschaft, den Bürgerkrieg in Syrien, dessen Konfliktparteien ohne ausländische Einmischung wohl schon längst am Ende wären, zu beenden.

Eine Karte von Syrien, die die Gebiete zeigt, die von Assad-Truppen, Rebellen, IS und Kurden kontrolliert werden. Ein Luftangriff auf einen Hilfskonvoi wird in der Nähe von Aleppo gezeigt.

"De Telegraaf" ( Amsterdam)
"Ohne ausländische Einmischung wären vermutlich sowohl die Regierung als auch die Rebellen längst am Ende. Aber sie bekommen immer wieder neue Lieferungen von Geld, Waffen und Truppen, wodurch sie in die Lage versetzt werden, weiter zu kämpfen. Verschiedene Staaten stellen ihre eigenen strategischen Interessen in den Vordergrund, nicht das Schicksal der Syrer. Dadurch ist dieser Konflikt so kompliziert, mit so vielen verschiedenen Akteuren und wechselnden Allianzen, dass eine Lösung immer weiter in die Ferne rückt.

Die wichtigste Vorbedingung für eine Vereinbarung (über eine friedliche Lösung) besteht darin, dass Russland und Amerika sich auf eine gemeinsame Linie verständigen. Statt dessen beschuldigen einander die beiden Großmächte nur gegenseitig, für das Ende der Waffenruhe verantwortlich zu sein. Dabei scheut Russland selbst vor Lügen nicht zurück. Dass es jede Verantwortung für den tödlichen Angriff auf einen Hilfskonvoi zurückweisen würde, war zu erwarten."

" Guardian" ( London)
"Der Angriff (auf einen Hilfskonvoi) scheint die Totenglocke für eine Waffenruhe gewesen zu sein, die nach langwierigen Verhandlungen ohnehin nur mit Vorbehalten als Schritt nach vorn angesehen worden war. Sie sei nicht tot, aber stark gefährdet, erklären die Hauptakteure. Doch nach dem Angriff ist es schwer, eine Waffenruhe noch als ein sinnvolles Konzept für Syrien anzusehen. Niemand ist begeistert über Versuche, sie wiederzubeleben. Und niemand ist darauf erpicht, durch einen neuen Hilfsgütertransport zu testen, ob sie eingehalten werden würde. Dennoch sind Verhandlungen zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow der einzige zur Verfügung stehende Weg, wie (der britische Außenminister) Boris Johnson zu Recht mahnte. Barack Obama, der einst kühn von roten Linien im Falle des Einsatzes von Chemiewaffen sprach, kann nur noch den Ruf nach 'harter Diplomatie' wiederholen. Mit einem Präsidenten am Ende seiner Amtszeit haben die USA Moskau nichts mehr entgegenzusetzen; ihre beste Hoffnung ist, dass Russland zu Verhandlungen mit einer Administration unter Hillary Clinton bereit sein wird."

"Dagbladet" ( Oslo)
"Gestern sollte ein neuer Versuch unternommen werden, die Waffenruhe zu retten. Aber mit so vielen kriegsführenden Parteien ist es äußerst schwierig, und es braucht wenig, bis die Kämpfe von Neuem entbrennen. Das ist zum Verzweifeln, sowohl für die hilflosen syrischen Kriegsopfer als auch für die, die ihnen helfen wollen. Die UN seien machtlos, heißt es. Aber der Punkt ist: Es gibt weder eine Waffenruhe noch Frieden in Syrien, bevor die kriegsführenden Parteien mitmachen und die Waffen ruhen lassen. Fremde Mächte kämpfen in Syrien um etwas viel Größeres als Syrien, aber es sind die Syrer, die bluten."

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