In den betroffenen Regionen dauerte es teilweise tagelang, bis Hilfe ankam. "Ich bin aus Izmir losgefahren, als ich vom Beben gehört habe (Anm circa 1080 Kilometer entfernt). Als ich in Hatay angekommen bin, war noch keine Hilfe da. Wie kann das sein?", fragt ein Student in einem viralen Video. Neben ihm steht sein Bruder, der sich selbst aus den Trümmern befreit hat. Die Eltern seien noch immer nicht herausgeholt worden. Tausende Gebäude wurden durch das Erdbeben zerstört. Viele fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen. Dabei hatten Experten über mehrere Jahre hinweg vor solch einer Katastrophe gewarnt. Die Kritik über mangelnde Kontrollen in der Baubranche und über fehlende Vorbereitungen auf den Ernstfall wird immer lauter.
"Nicht Erdbeben töten Menschen, sondern Gebäude. Wir müssen lernen, mit Erdbeben zu leben und entsprechende Vorkehrungen zu treffen", teilte Erdoğan selbst noch vor einigen Jahren die Meinung der Experten. Zumindest sagt das einer seiner Tweets aus dem Jahr 2013, der seit Tagen in sozialen Medien kursiert. Aktuell aber sind von Erdoğan nur Sätze zu hören, in denen er von "Schicksal" spricht.
Wie über das Krisenmanagement gesprochen wird, möchte der Präsident hingegen weniger dem Schicksal überlassen. Bereits in einer ersten Ansprache nach der Katastrophe richtete sich Erdoğan an die "Ehrenlosen", die behaupten würden, es werde nicht geholfen. Kurz danach wurde in der Türkei der Ausnahmezustand ausgerufen, einige Zeit später der Zugang zu den sozialen Medien eingeschränkt.
Reicht das?
Zahlreiche Untersuchungen wurden wegen der Verbreitung von Falschinformation angeordnet. Auch der bekannte Comedian Oğuzhan Ugur, der in letzter Zeit mit seiner Polit-Sendung auf Youtube immer mehr an Beliebtheit erlangt, ist unter den Betroffenen. Untersuchungsgegenstand ist ein Tweet über mögliche Beschädigungen eines Staudamms in Hatay.
Indes werden auch Bauunternehmer wie Mehmet Yaşar Çoşkun festgenommen. Er konnte noch am Flughafen verhaftet werden. Gegen ihn, und viele andere, gibt es einen Haftbefehl wegen Nichteinhaltung der Standards in Bezug auf Erdbebensicherheit. Wie so viele neue Bauten überhaupt derart schleißig gebaut werden konnten, fragen sich viele. Seit 2004 gibt es eigentlich einschlägige Gesetze. Auch wo die Erdbebensteuer bleibt, die nach 1999 eingeführt wurde, ist unklar. Bisher versprach Erdoğan Betroffenen jeweils 10.000 Lira (circa 494 Euro) an Soforthilfe. Ob das reicht?
Eine Frage, die sich angesichts der nahenden Wahlen wohl auch Erdoğan und seine Regierung stellt. Für den 14. Mai stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an. AKP-Politiker Arınç hat bereits vorgeschlagen, sie zu verschieben. Laut Verfassung wäre das aber nur im Falle eines Krieges zulässig.
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