Fangen wir damit an: Trump hat deutlich gemacht, den transatlantischen Konsens, die globalen Werte und die regelbasierte Ordnung zu verlassen.
Das hat er nicht angekündigt - er hat es getan. Er rehabilitiert den übelsten Aggressor, den wir in Europa in den letzten Jahrzehnten gehabt haben. Er rehabilitiert ihn nicht nur, er stellt sich auf seine Seite: Und der daraus folgende Schritt für Europa heißt, dass wir unseren amerikanischen Ex-Verbündeten nicht mehr trauen können. Wir können uns nicht mehr auf sie verlassen.
Und damit ist natürlich auch der "Artikel 5", also die die Bündnistreue der USA innerhalb der NATO, mit einem riesigen Fragezeichen versehen.
Was heißt das jetzt für Europa?
Dass wir uns militärisch nicht mehr auf amerikanische Hilfe im Falle eines Angriffs verlassen können. Das heißt, dass Präsident Trump bereit ist, die Ukraine zu opfern und Präsident Selenskij einen Kopf kürzer machen zu lassen.
Das bedeutet aber auch für Europa, dass wir unsere eigene Abschreckungs-Verteidigungsfähigkeit jetzt sehr schnell wieder entwickeln müssen, um uns gegen einen möglichen Angriff Russlands zu wappnen.
Was bedeutet es, wenn Trump die Ukraine opfert?
Das heißt, dass wir dann in einem Dschungel leben, in dem sich das Recht des Stärkeren durchsetzt. Das heißt, dass die Ukraine Russland zum Fraß vorgeworfen wird. Dass die Russen selbstverständlich versuchen werden, nicht nur die besetzten Gebiete zu halten, sondern das umzusetzen, was sie seit Kriegsbeginn tun wollten, nämlich die ukrainische Regierung entmachten und eliminieren.
Wir reden von einem unmittelbaren Risiko auch für den Rest der noch freien Ukraine. Wir reden davon, dass Menschen, die in den besetzten Gebieten leben, in einer totalitären Form russisch fixiert werden. Wir reden davon, dass sich sehr, sehr viele Menschen in der noch freien Ukraine auf den Weg machen würden, um ihre Heimat zu verlassen.
Wobei ich glaube, dass ein großer Teil der Ukrainer nicht aufgeben und weiterkämpfen wird. Es wird einen Teil geben, die sich nicht ergeben wollen. Und andere werde sagen: Wir können es nicht ändern; wir suchen unser Heil in Österreich oder in der Schweiz oder in Deutschland.
Wie könnte Europa das noch verhindern?
Wenn die Europäer jetzt nicht nur reden, was sie seit drei oder vier Jahren tun, sondern die Ukraine massiv weiter militärisch unterstützen und deutlich machen, dass sie ihr politisch nicht von der Seite weichen.
Was halten Sie vom Vorschlag Präsident Trumps, eine europäische Friedenstruppe nach einem Waffenstillstand in die Ukraine zu schicken?
Es ist komplett dummes Zeug, weil er genau weiß, dass Präsident Putin sich in keiner Weise von seinen strategischen Zielen verabschiedet hat. Putin will weiter die Ukraine zerstören, Europa destabilisieren, die NATO und die EU spalten. Er hat überhaupt kein Interesse an einem Waffenstillstand.
Und sollte er ihn tatsächlich in irgendeiner Form eingehen wollen, wäre das nur eine Pause, die ihm Gelegenheit gibt, seine militärischen und wirtschaftlichen Kapazitäten ein Stück weit neu zu ordnen. Präsident Trump hat ihm jetzt einen Blankoscheck gegeben.
Trump hat gesagt, er wird die US-Truppen nicht aus Europa abziehen. Beruhigt Sie das?
In keiner Weise. Es ist Teil von Trumps Strategie, uns komplett konfus zu halten, mit verwirrenden Botschaften.
Was müsste Europa oder die europäische NATO tun, um jetzt mit dieser neuen Situation umzugehen?
Wir werden uns neu aufstellen müssen. Und dabei kommt es darauf an, wer Teil dieser Gruppe sein wird. Es wird Staaten geben, wie beispielsweise Ungarn oder auch die Slowakei, die ja schon für sich selbst beschlossen haben, dass sie eigentlich lieber in dem Bereich von Herrn Putin leben möchten.
Aber ich denke da beispielsweise auch an neutrale Staaten wie Österreich und die Schweiz. Sie werden nicht länger nur am Zaun stehen und das Debakel und Desaster beobachten können. Auch ein Österreich muss sich entscheiden, ob es irgendwie an einer regelbasierten Ordnung festhalten will oder ob es in Zukunft in einem Dschungel leben möchte: Es geht nicht nur um Deutschland und Frankreich und andere. Wir als Europäer sind alle betroffen. Wir sitzen alle im gleichen Boot.
Muss es eine europäische Armee geben oder reicht ein europäischer Teil der NATO?
Wir brauchen Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind. Die Europäische Union hat sich ja über Jahrzehnte geweigert, sich eigene militärische Führungsstrukturen zu geben. Mal davon abgesehen, dass wir auf europäischer Seite viele Staaten haben, die Schwierigkeiten mit ihren Streitkräften haben.
Aber wir haben Kerngruppen wie die der sogenannten Joint Expeditionary Force, sie ist seit zehn Jahren da. Das ist ein Subunternehmen der NATO, angeführt von den Briten, in dem sich über Jahre die Skandinavier angeschlossen haben, die Niederlande, die Balten. Das ist eine Gruppe, die über eigene Führungsstrukturen militärischer Art verfügt. Das ist ein Nukleus, auf dem man vielleicht aufbauen sollte.
Halten Sie eine Art nuklearen Schutzschirm für Europa für unabdingbar?
Frankreich hat dazu eingeladen, sich einmal Gedanken zu machen, wie die französischen und die britischen Atomstreitkräfte zu einem gemeinsamen, europäischen Schirm nutzbar gemacht werden könnten. Aber der Vorschlag wurde nicht aufgegriffen.
Wir brauchen aber für eine glaubwürdige militärische Abschreckung gegenüber Russland eine nukleare Komponente. Wir sind nicht ganz zahnlos. Wir haben 1,9 Millionen Menschen in Uniform auf der europäischen Seite. Wir haben zwei Nuklearmächte auf unserer Seite. Wir haben sehr starke europäische Staaten wie Polen, wie Finnland und wie Schweden auf unserer Seite, die auch wirklich ernsthaft in ihre militärische Verteidigungsfähigkeit investiert haben.
Ich wünschte mir in dieser wirklich dramatischen Situation, dass man kühl und sachlich bleibt, aber sich nicht mehr auf der intellektuellen Ebene aufhält, wo man sagt: Oh, das ist ein Weckruf. Nein, das ist ein politisches Erdbeben, und darauf muss auch in einer solchen Form reagiert werden.
In Österreich wird auch über Sky Shield diskutiert: Ist er nötig, oder wäre das, was Europas Verteidigung betrifft, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Wir haben ein Spektrum von notwendigen militärischen Fähigkeiten, das umfasst Hunderte von Fähigkeiten. Und ganz oben auf der Liste ist auch die Frage eines europäischen gemeinsamen Luftabwehrschirms. Aber das ist ein Zwanzigstel oder Dreißigstel der Topfähigkeiten, auf die wir uns fokussieren müssen.
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