Starjournalist Steingart: "Die AfD ist eine Fehlermeldung im System"

KURIER: Ein Schiff, das auf einem Fluss dahin schippert, eine Art mobiler Content-Engine, welche diverse Plattformen und Kanäle bespielt – ist das die Zukunft des Journalismus?
Gabor Steingart: Das ist ein Teil der Zukunft. Das Schiff ist eine Metapher: für Transparenz – man kann uns sehen, für Nahbarkeit – man kann zu- und wieder aussteigen, auch für Beweglichkeit. Die Sache funktioniert auch deswegen gut, weil die Menschen diese Symbolik verstehen: Sie winken, rufen den Leuten an Deck etwas zu. Das ist nicht wie bei großen Verlagshäusern: Ausweiskontrolle, Metalldetektor etc.
Gibt es auch ein Businessmodell?
Wir haben Investoren, wir sind fünf Jahre nach dem Start rentabel, drei Jahre nach der Einführung von paid content haben wir den Breakeven erreicht.
Muss sich der Journalismus völlig neu erfinden? Ist der klassische Journalismus ein Auslaufmodell?
Ja. Das Papier ist ein Auslaufmodell, es ist ein Mühlstein am Hals der Verlage. Noch bringt es Rendite, noch verkauft sich die Printanzeige – aber es wird weniger.
Und wie sieht es mit der digitalen Transformation der traditionellen Medien aus?
Es ist die Aufgabe dieser Medien, sich zu transformieren. Ich habe das selbst beim Handelsblatt gemacht. Aber daneben gibt es auch die „Teslas“: Tesla fängt nicht mehr mit Verbrennermotoren an. Analoges gibt es auch in der Medienbranche – eben digitale Medien. Aber das heißt nicht, dass der Stern oder das Handelsblatt vor dem Aus stehen, die müssen eben transformiert werden. Dennoch muss das Neue entstehen – was in Europa zuwenig passiert.
Wie wichtig sind Marken?
Sehr wichtig! Es braucht die persönlichen Marken: der einzelne Journalist, der für etwas steht; aber auch die Medienmarke: in welcher Halle tritt der Journalist auf. Wobei die Personenmarken wichtiger geworden sind, das gab es früher nicht in der Weise. Ja, es gab die großen Gründerfiguren wie Rudolf Augstein oder Henri Nannen, aber der einzelne Spiegel-Journalist war eine graue Maus.
Ist das eine gute Entwicklung? Wird das Ich des Journalisten wichtiger als das Wir?
Das wäre eine Übertreibung – ich sehe Journalisten nicht als Influencer, sondern als trusted source, die mir für Glaubwürdigkeit bürgt.
Sind nicht die Grenzen zwischen Journalisten und Usern verschwommen, seit in den sozialen Medien oder Onlineforen gleichsam jeder ein Journalist sein kann?
Ja, und das finde ich auch richtig. Ich halte es da mit Joseph Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Die Idee, dass nur jemand ein Künstler ist, weil er bei Sotheby’s versteigern konnte, halte ich für falsch. Und so sind auch Menschen, die aus der Wirklichkeit berichten, Journalisten. Citizen Journalism nennt man das – das ist die Demokratisierung unseres Berufsstandes.
Sehen Sie sich demnach selbst eher als Kommunikationsmanager oder als „Welterklärer“ im traditionellen Sinn?
Letzteres bin ich in erster Linie (lacht).

"Der Rest der Welt entwickelt sich, zum Teil sehr lebhaft, womit Deutschland ein Land im relativen Abstieg ist."
Was läuft falsch in Deutschland? Die Dreierkoalition erweist sich als Schlamassel – die wirtschaftliche Führungsmacht ist mehr mit sich selbst beschäftigt …
„Schlamassel“ wäre mir zu hart. Deutschland ist eine Status-quo-Macht, es kommen keine neuen Ideen, es entsteht kein neuer Wohlstand – positiv könnte man sagen: es brennt auch nichts an. Der Rest der Welt entwickelt sich, zum Teil sehr lebhaft, womit Deutschland ein Land im relativen Abstieg ist.
Liegt das an der Politik oder an der Bevölkerung?
Es gibt nach wie vor sehr erfindungs- und erfolgreiche Menschen, das darf man nicht unterschätzen. Das eigentliche Problem ist: Die Wirtschaft ist mit einem Nervengift gelähmt worden, das ist die Bürokratie. Etwa die Pflicht, jetzt die ganze Lieferkette beschreiben zu müssen. Ein Textilfabrikant will einfach seine T-Shirts verkaufen, Punkt. Die Politik erwartet das Unmögliche von den Unternehmern und macht ihnen das profitable Produzieren immer schwerer.
Warum funktioniert die Ampel eigentlich so schlecht? An sich wäre das ja eine einigermaßen ideologisch homogene Koalition, im Unterschied etwa zu einer Großen Koalition …
Es hat funktioniert bis zu dem Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht dieser Koalition das Geld entzogen hat. Das waren 60 Milliarden, die gestrichen wurden. Seitdem dieses Geld fehlt, werden sie sich über die Prioritäten nicht einig.
Allerdings ist Politik immer auch die Kunst, mit vorhandenem Geld auszukommen …
An sich ja, aber in der Regel – siehe etwa die USA – wird das immer mit neuen Schulden gelöst. Das heißt, im Westen kauft man sich den Wohlstand und versäumt es, Prioritäten zu setzen. Kein Haushalt kann auf diese Weise funktionieren.
Nun sind Sie aber auch kein großer Anhänger der Merkel-Ära. Liegt es vielleicht weniger an den Parteien, sondern daran, dass wohlstandssatte Gesellschaften reformresistent sind?
Das will man nicht hoffen. Und ich glaube es auch nicht. Ich bin im übrigen niemandes Anhänger und auch kein Merkel-Gegner. Sie hatte auch ihre guten Seiten – aber sie hat halt keine Reformen geliefert. Aber es stimmt, Politiker tun sich schwer, mutig zu sein: weil in einer in der Tat bequemer gewordenen Gesellschaft Mut nicht unbedingt vom Wähler honoriert wird. Das Lieblingswort der Wähler ist „Normalität“: Lasst die Dinge, wie sie bisher waren.

"Es demonstrieren alle gegen rechts - aber was ist eigentlich 'rechts'? Wir sollten dieses Spiel der Verengung von Denkräumen nicht mitmachen."
Ist das falsch?
Nein, das ist nicht falsch. Das muss man auch berücksichtigen. Einer, der den Elektriker holt, möchte, dass der das Gerät repariert, aber nicht, dass ihm der die Wohnung völlig umräumt.
Und wer das so sagt, wird schnell ins rechte Eck gestellt, oder?
Wir sind zu schnell mit dieser Rechts-Links-Kategorisierung. Auch die AfD ist eine Fehlermeldung im System – die Leute sind nicht rechtsradikal geworden, aber sie stören sich an ein paar basics.
Sind die Leitplanken des öffentlichen Diskurses zu eng?
Es demonstrieren alle gegen rechts – aber was ist eigentlich „rechts“? Für Olaf Scholz alles, was rechts und links von Olaf Scholz ist, auch Sahra Wagenknecht beispielsweise. Wir sollten dieses Spiel der Verengung von Denkräumen nicht mitmachen. Es gibt Dinge, die nicht gehen: Menschenverachtung, Gewalt, Antisemitismus – aber ansonsten muss das freie Wort erlaubt sein.
Hält die Brandmauer zur AfD bzw. soll sie halten?
Ich glaube schon, was die Frage der Regierungsbeteiligung betrifft – und da soll sie auch halten. Aber falsch wäre eine Brandmauer im Denken, im Zugehen auf die Argumente der Anhänger.
Also ein Verbot wäre falsch?
Ja. Das könnte nur das BVerfG. Dessen ehemaliger Präsident, Hans-Jürgen Papier, spricht von einer Repräsentationslücke, die in der Merkel-Zeit entstanden ist: durch die behauptete Alternativlosigkeit. Diese Lücke kann ich nicht wegreden, auch nicht durch ein Verbot. Es sei denn, es käme zu Ausschreitungen auf der Straße wie in der Weimarer Republik. Das muss man im Auge haben.
Gilt das Nein zur Regierungsbeteiligung auch für die regionale und kommunale Ebene?
Ich würde vorerst dabei bleiben. Wobei ich hoffe, dass es zu einer Entwicklung wie seinerzeit bei den Grünen kommt. Die waren ja auch radikal, chaotisch, schrill, anarchistisch – und sind dann den Weg in die Mitte gegangen. Die SPD wollte ursprünglich gar nichts mit denen zu tun haben, aber irgendwann hat man sich dann doch getroffen und rot-grüne Bündnisse geschlossen. Das hat Jahrzehnte gedauert, muss man sagen. Momentan sehe ich diesen Prozess bei der AfD allerdings noch nicht. Björn Höcke ist nicht Joschka Fischer auf rechts – der spielt auf einer ganz anderen Klaviatur.
Laden Sie AfD-Politiker auf die „Pioneer“ ein?
Nein.
Gabor Steingart
geb. 1962; 2001 bis 2007 Leiter des Hauptstadtbüros des „Spiegel“, danach bis 2010 des Büros in den USA; 2010 bis 2018 zunächst Chefredakteur, dann Herausgeber des „Handelsblatt“; 2018 Gründung der Media Pioneer, welche u. a. das Medienschiff „The Pioneer One“ betreibt.
„Geist & Gegenwart“
Steingart war Referent beim von Land Steiermark und Diözese Graz-Seckau veranstalteten Pfingstdialog „Geist & Gegenwart“ zum Thema „Europas Regionen. Zukunft gestalten“ auf Schloss Seggau bei Leibnitz. Der KURIER traf Steingart dort zum Gespräch.
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