Spionage-Ballon aus China über USA: Biden erwog Abschuss
Ein überirdischer Spionage-Zwischenfall belastet kurz vor dem geplanten Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Peking das ohnehin angespannte amerikanisch-chinesische Verhältnis schwer.
Wie das Pentagon am Donnerstagabend erklärte, wurde über dem US-Bundesstaat Montana, wo rund um den Luftwaffenstützpunkt Malmstrom Abschuss-Basen für 150 atomare Interkontinental-Raketen liegen, in mehr als zehn Kilometer Höhe ein chinesischer Spionage-Ballon gesichtet.
Spionage-Ballon aus China über USA
Das Fluggerät, auf Fotos als große, weiße Kugel mit Radar-Flügeln zu erkennen, sei bereits vor einigen Tagen in den amerikanischen Luftraum eingedrungen, sagte Brigade General Patrick Ryder vor Journalisten, und sei seither mit Hilfe von Kampfjets minutiös beobachtet worden.
Am Flughafen in Billings standen F-22-Jäger parat
Obwohl der immer noch über dem Nordwesten der US schwebende Spionage-Ballon weder militärisch noch für den zivilen Luftverkehr eine Gefahr darstelle, erwog das Pentagon den Abschuss über dem vergleichsweise menschenleeren Montana, das an die kanadische Grenze heranreicht.
Am Flughafen in Billings wurde präventiv eine Flotte von F-22-Kampfjägern mobilisiert und sogar kurzzeitig der Betrieb eingestellt, falls der Einsatzbefehl kurzfristig gekommen wäre.
In Absprache mit Verteidigungsminister Lloyd Austin und US-Präsident Joe Biden, der als Commander-in-Chief das letzte Wort hat, wurde darauf verzichtet. Die Sorge vor abstürzenden Trümmerteilen sei der Hauptgrund gewesen, so das Verteidigungsministerium.
Gewiss dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass mit Tony Blinken am Sonntag zum ersten Mal seit fast fünf Jahren wieder ein US-Außenminister nach Peking fliegen soll, um die zuletzt immer länger gewordene Liste von Streitpunkten zwischen beiden Supermächten zur Sprache zu bringen.
Dass die US-Regierung den Vorgang dennoch so prominent öffentlich machte, sei als "Zeichen der tiefen Verstimmung in Washington zu werten", sagten Analysten. Zwar seien schon öfter chinesische Spionage-Ballons über Amerika aufgetaucht, heißt es in Sicherheits-Kreisen, "aber noch nie so ausdauernd".
China-Ballon nur von begrenztem Wert
"Legt Peking es darauf an, zu provozieren und erwischt zu werden, weil es sich überlegen fühlt?", sagte ein Experte einer Washingtoner Denkfabrik im Gespräch.
Auf diplomatischen Kanälen, unter anderem wurde ein Geschäftsträger aus der chinesischen Botschaft in Washington ins Außenministerium einbestellt, sei der Regierung von Präsident Xi Jinping in sehr robusten Worten der Unmut der US-Regierung mitgeteilt worden, sagte ein Regierungsbeamter.
Dabei wurden die Spionage-Kapazitäten des Ballons - im Vergleich zu dem, was moderne Satelliten an Informationen gewinnen könnten - von der US-Regierung schnell als "von begrenztem Wert" bezeichnet.
Marco Rubio, republikanischer Senator und China-Kritiker, erklärte, die Angelegenheit sei "alarmierend, aber nicht überraschend". Peking habe die Spionage-Aktivitäten gegen die Vereinigten Staaten in den vergangenen fünf Jahren "dramatisch intensiviert". Auch militärisch rüste das Riesenreich beständig auf.
Für Amerikas obersten Geheimdienstler ist China damit die "größte geopolitische Herausforderung". CIA-Chef Williams Burns sagte den Satz am Donnerstag bei einer Veranstaltung an der Washingtoner Georgetown Universität, während gleichzeitig das Verteidigungsministerium die Ballon-Affäre publik machte. Burns brachte in seinem Vortrag mehrfach den größten Konfliktherd zwischen beiden Ländern zur Sprache: Taiwan.
CIA-Chef: Xi Jinping will Taiwan einnehmen
Bereits am Wochenende war die private Einzelmeinung des hochdekorierten US-Luftwaffen-Generals Mike Minihan durchgesickert, der mit einem Krieg zwischen den USA und China im Jahr 2025 rechnet - als Folge-Erscheinung einer gewalttätigen Annektierung des Inselreichs durch Peking. Für diesen Fall hatte US-Präsident Biden Taiwan zuletzt mehrfach militärischen Beistand durch das US-Militär versprochen.
Das Pentagon kassierte die Einschätzung von General Minihan sofort ein und betonte, dass man an einer friedlichen, fairen Koexistenz interessiert sei. William Burns bekräftigte dagegen die latente Gefahr.
Aus geheimdienstlichen Erkenntnissen wisse man, dass Xi Jinping die Order an sein Militär ausgegeben habe, 2027 für eine Invasion in Taiwan bereit zu sein. Das bedeute nicht, dass der Entschluss für einen Angriff zu diesem oder zu einem anderen Zeitpunkt gefallen sei, so der langjährige Diplomat, aber es sei Indiz für die "Ernsthaftigkeit", mit der die Pläne betrieben würden.
"Unsere Beurteilung bei der CIA ist es, dass ich Präsident Xi`s Ambitionen in Bezug auf Taiwan nicht unterschätzen würde", sagte Burns, auch wenn der chinesische Führer gerade "ein wenig beunruhigt" sei und versuche, aus dem "schlechten Auftritt" der russischen Armee in der Ukraine "Schlüsse zu ziehen".
Für Antony Blinken, der im Nachgang der Verständigung zwischen Biden und Xi Jinping im November beim G-20-Gipfel auf Bali ab Sonntag in Peking sein will, um einen "Korridor" für vernünftige Gespräche über die vielen Streitthemen zu legen, macht die Spionage-Ballon-Affäre die Arbeit nicht leichter.
Als "secretary of state" rasselte er 2021 mit seinem damaligen Gegenüber Wang Yi bei einem Treffen in Alaska schwer aneinander. Wang Yi hatte sich auch 2018, als Donald Trumps Chef-Diplomat Mike Pompeo in Peking weilte, harte Wortgefechte mit den Amerikanern geliefert.
Rohstoffe für Fentanyl kommen aus China
Diesmal bekommt es Blinken mit dem neuen Außenminister Qin Gang zu tun, der bisher durch eher konziliante Töne aufgefallen ist. Konkrete Übereinkünfte sind deshalb aber nicht wahrscheinlich, zu giftig ist die Stimmung.
Weder hat China bisher seine Russland-Versteher-Haltung im Ukraine-Krieg aufgegeben, was Blinken absehbar scharf kritisieren wird. Insbesondere die Tatsache, dass Peking zuletzt klipp und klar Amerika für den Krieg verantwortlich machte und die jüngst beschlossenen Kampfpanzer-Lieferungen des Westens als schweren Fehler bezeichnete.
Noch hat Peking sein Säbelrasseln im Südchinesischen Meer und gegenüber Taiwan heruntergefahren, heißt es im Außenministerium in Washington. Auch in der wirtschaftlich brisanten Frage der Halbleiter-Industrie gibt es keinen Interessenausgleich. Die USA versuchen hier China erhebliche Marktanteile zu entreißen.
Selbst bei einem der aus US-Sicht drängendsten Punkten gebe es kein nachhaltiges Entgegenkommen, beklagt Washington. Aus chinesischen Laboren kommen jene chemikalischen Vorprodukte, die von mexikanischen Drogenkartellen zum "Killer" veredelt und in die USA geschmuggelt werden: Fentanyl.
Sonder-Ausschuss im Kongress nimmt China unter die Lupe
Zwischen Frühjahr 2020 und Frühjahr 2021 starben rund 65.000 Amerikaner an dem synthetischen Opiod. Studien sagen voraus, dass bis 2029 über eine Million Tote zu verzeichnen sein könnten, wenn die Versorgungslinien aus China nicht radikal abgeschnitten werden. Peking bestreitet die Helfershelfer-Dienste für die Narco-Könige in Mexiko.
Im Kongress in Washington, wo seit Kurzem die Republikaner die Agenda bestimmen, wächst der Unmut. In einem eigenen Sonder-Ausschuss wird sich das Repräsentantenhaus in den kommenden zwei Jahren aus allen Blickwinkeln (ökonomisch, militärisch etc.) regelmäßig mit der "chinesischen Gefahr" beschäftigen und die Biden-Regierung vor sich hertreiben.
In der Ballon-Affäre sehen Demokraten wie Republikaner eine "schwere Verletzung der nationalen Souveränität". Die kommunistische Partei Chinas dürfe keinen "Auf-Wunsch-Zugang zum amerikanischen Luftraum bekommen", heißt es in einer Stellungnahme von Vertretern beider Parteien.
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