Proteste bei Vuelta-Finale: Warum Spanien so israelkritisch ist

Javier Guillén trat am Montag mit versteinertem Gesicht vor die Presse. Der Direktor der Vuelta „bedauert und verurteilt“ die Ereignisse vom Vortag. 100.000 Menschen hatten in der spanischen Hauptstadt Madrid an einer pro-palästinensischen Demonstration teilgenommen – und den Abbruch der Schlussetappe der prestigeträchtigen Radrundfahrt erzwungen.
Den Demonstranten war die Teilnahme des Teams Israel-Premier Tech ein Dorn im Auge. Sie rissen Absperrungen nieder, blockierten Straßen, skandierten "Palästina gewinnt die Vuelta". Zwei Menschen wurden festgenommen, 22 Polizisten wurden leicht verletzt.
Premier Sánchez spricht "Bewunderung" aus
Ganz anders als das Urteil von Guillén fiel jenes von Spaniens Premier Pedro Sánchez aus. Der sozialistische Regierungschef sprach am Montag von „Bewunderung für das spanische Volk“ – und fordert einen Ausschluss Israels von internationalen Wettbewerben, solange die „Barbarei gegen die Palästinenser“ anhalte.
Das überrascht kaum: Seit Beginn des durch das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 ausgelösten Gazakriegs zählt Sánchez zu den schärfsten Kritikern der israelischen Regierung.

Das spanische Radrennen "La Vuelta" war von pro-palästinensischen Protesten geprägt.
Völkermordklage
Seine Koalition aus Sozialisten und dem Linksbündnis Sumar erhöht gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu zunehmend den Druck. So erkannte Spanien bereits im Mai des Vorjahres Palästina als eigenen Staat an. Kurz darauf schloss sich Spanien der Völkermordklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) an.
Vergangene Woche verkündete Sánchez’ Kabinett schließlich umfangreiche Strafmaßnahmen wegen des „Völkermords“ in Gaza, darunter Einreiseverbote und einen Einfuhrstopp für Produkte aus illegalen israelischen Siedlungen in palästinensischen Gebieten.
Israels Außenminister Gideon Saar warf Sánchez daraufhin eine "antisemitische Kampagne" vor. Schwierig war das Verhältnis zwischen den beiden Staaten allerdings schon davor. Spanien gilt seit jeher als das EU-Land mit der kritischsten Haltung gegenüber Israel, während die Sympathien für die palästinensische Seite weit zurückreichen.
Franco-Diktatur
Die Wurzeln dafür liegen in der Franco-Diktatur, die von 1939 bis 1975 dauerte und bis heute kaum aufgearbeitet wurde. Aufgrund seiner geografischen Lage und weil Spanien damals im Westen weitgehend isoliert war, pflegte General Francisco Franco enge Beziehungen zu arabischen Staaten. Zugleich verbreitete er offen antisemitische Verschwörungserzählungen.
Auch nach Francos Tod bemühten sich spanische Regierungen, die Freundschaft zu arabischen Ländern aufrechtzuerhalten. Erst 1986 – mit Spaniens Beitritt zu NATO und EWG und damit deutlich später als andere europäische Staaten – wurden diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen.
Bis heute zieht sich die propalästinensische Haltung durch große Teile von Spaniens Gesellschaft und Parteienlandschaft. So kritisierte die größte Oppositionspartei, die konservative PP, am Sonntag zwar, dass sich die Linksregierung hinter die – teils gewaltsamen – Vuelta-Demonstranten stellt. Jedoch spart auch PP-Parteichef Alberto Núñez Feijóo nicht mit Kritik an Israels Premier Netanjahu. Seine Partei war es auch, die im spanischen Parlament bereits vor zehn Jahren für die Anerkennung Palästinas stimmte.
Kommentare