Warum Spanien plötzlich wieder über Abtreibungen streitet

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In Madrid beschneiden Rechtskonservative und Rechtspopulisten Frauenrechte. Premier Sánchez hält dagegen – und will das Recht auf Abreibung in Spaniens Verfassung absichern.

José Luis Martínez-Almeida hätte die Sache am liebsten wohl einfach unter den Teppich gekehrt. Der Bürgermeister der spanischen Hauptstadt Madrid war vergangene Woche massiv unter Druck geraten. Auslöser war ein politischer Schulterschluss seiner konservativen Volkspartei (PP) mit der rechtspopulistischen Vox:

Die beiden Fraktionen hatten im Stadtsenat in Madrid ein neues Gesetz verabschiedet, das medizinisches Personal dazu verpflichtet, Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch vor dem sogenannten „Post-Abtreibungssyndrom“ zu warnen. Dieses könne, so Vox, unter anderem  Depressionen, Essstörungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch auslösen sowie Unfruchtbarkeit, ein erhöhtes Sterberisiko im Jahr nach dem Eingriff und sogar einen Anstieg von Krebserkrankungen der weiblichen Fortpflanzungsorgane befördern.

Zurückgerudert

Allerdings: Eine wissenschaftliche Grundlage gibt es für all diese Behauptungen nicht. Das „Post-Abtreibungssyndrom“ ist weder von der Weltgesundheitsorganisation WHO  als medizinische Diagnose anerkannt noch ist es durch seriöse Studien belegt. Vox führt das auf "ideologischen Druck" der Linken zurück. Abtreibung sei  schließlich "ein großes Geschäft für die Ideologie, die sie unterstützt und fördert: den Feminismus.“

Die Empörung über das neue Gesetz in Madrid ließ nicht lange auf sich warten. Frauenrechtsorganisationen übten prompt scharfe Kritik. Die  größte Oppositionspartei in Madrid (Más Madrid) forderte ein Gesetz, das die Bereitstellung nicht wissenschaftlich fundierter Gesundheitsinformationen verbieten soll. Auch die linksgerichtete Zentralregierung schaltete sich  umgehend in den Kulturkampf ein. Der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez kündigte an, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern, um es vor künftigen Angriffen zu schützen. Frankreich hatte diesen Schritt bereits im März 2024 vollzogen.

Brief an vier autonome Gemeinschaften

Kurz: Der politische Druck wurde so groß, dass Bürgermeister Martínez-Almeida nur 24 Stunden nach Verabschiedung des Gesetzes zurückrudern musste: Das „Post-Abtreibungssyndrom“ sei „keine anerkannte wissenschaftliche Kategorie“, räumte er kleinlaut ein. Künftig solle die Information über das vermeintliche Syndrom nur auf freiwilliger Basis erfolgen. 

Doch der Schaden war da längst angerichtet - auch innerhalb der eigenen Partei, die in der Abtreibungsfrage tief gespalten ist. Vielen ist zudem  ein Dorn im Auge, dass sich die Konservativen, die im Madrider Stadtrat eigentlich mit absoluter Mehrheit regieren, einmal mehr von Vox vor sich hertreiben haben lassen. Zumal die Rechtspopulisten der PP auf nationaler Ebene laut jüngsten Umfragen in großen Schritten Wählerstimmen abjagen.

Verpflichtende Register

Zusätzlichen Zündstoff lieferte dann auch noch die gewohnt scharfzüngige Madrider Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso (PP), die sich am Montag in die Debatte einschaltete. So weigert sich Madrid als einzige autonome Region des Landes, eine Auflistung von Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche aus moralischen Gründen verweigern, zu veröffentlichen. Ein solches Register ist eigentlich gesetzlich vorgeschrieben.

Stattdessen warnte Ayuso, selbst eine erklärte Abtreibungsgegnerin, vor einer „Stigmatisierung“ des medizinischen Personals und wetterte gegen Sánchez, der mit der Debatte eigene Skandale vertuschen wolle.

Frauenrechte

Ganz von der Hand zu weisen ist der Vorwurf nicht: Sánchez, der zuletzt wegen Korruptionsaffären in seinem engsten Umfeld massiv unter Druck geraten war, spielt die Kontroverse in die Karten, um einmal mehr vor der wachsenden Annäherung zwischen PP und Vox zu warnen. 

Der Premier beruft sich in der Debatte auf eine breite gesellschaftliche Mehrheit im Land, die hinter einer liberalen Gesetzgebung stehe. Schließlich hat Spanien in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte bei Frauenrechten gemacht. Das Abtreibungsrecht wurde erst 2023 deutlich liberalisiert. Schwangerschaftsabbrüche sind seitdem bis zur 14. Woche kostenlos in öffentlichen Krankenhäusern möglich, die dreitägige „Bedenkzeit“ wurde abgeschafft, und Mädchen ab 16 Jahren können heute in Spanien ohne elterliche Zustimmung abtreiben.

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