Russischer Verteidigungsminister befiehlt Intensivierung der Angriffe

UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT
Der russische Verteidigungsminister Schoigu gab einen Angriffsbefehl in "alle Richtungen".

Tag 143 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat bei einer Inspektion der am Ukraine-Krieg beteiligten Truppenteile eine Ausweitung der Angriffe auf das Nachbarland befohlen. Bereits zuvor hat der ukrainische Generalstab mitgeteilt, dass die russischen Streitkräfte nach einer Umgruppierung ihrer Kräfte die Angriffe im Osten des Landes wieder verstärkt hätten.

Ziele waren am Samstag unter anderem Tschuhujiw im Nordosten und Nikopol im Südosten des Landes.

Russian Defence Minister Sergei Shoigu inspecting troops

Nach ukrainischen Angaben gab es mehrere Tote und Verletzte. "Nach Anhörung (des Lageberichts) hat der Chef des russischen Verteidigungsministeriums die nötigen Anweisungen zur Ausweitung der Aktivitäten der Heeresgruppen in alle Angriffsrichtungen gegeben, um dem Kiewer Regime die Möglichkeit zu nehmen, weiter massive Artillerie- und Raketenangriffe auf Infrastruktur und Zivilisten im Donbass und in anderen Regionen durchzuführen", teilte das russische Verteidigungsministerium Ministerium am Samstag mit.

Es ist die zweite Inspektion der russischen Einsatzkräfte in der Ukraine durch Schoigu. Die erste fand Ende Juni statt. Bei der jetzigen Veranstaltung zeichnete der russische Verteidigungsminister zwei hochrangige Generäle aus, unter anderem den Chef der Heeresgruppe "Zentrum", Generaloberst Alexander Lapin, der als mit federführend für die Eroberung des Ballungsraums Sjewjerodonezk - Lyssytschansk im Donbass durch moskautreue Truppen gilt.

Russische Falschangaben zu Kriegserfolgen

Russland hat britischen Geheimdienstexperten zufolge zum wiederholten Mal falsche Angaben zu angeblichen Erfolgen bei seiner Invasion in die Ukraine gemacht. Umfang und Ausmaß russischer Vorstöße seien weiterhin begrenzt, hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London am Samstag.

Die Behauptung der Russen vor einigen Tagen, sie seien in die Stadt Siwersk vorgestoßen, seien nicht wahr gewesen. „Russland hat auch zuvor voreilige und falsche Behauptungen über Erfolge gemacht“, hieß es in der Mitteilung weiter. Grund dafür sei wohl zumindest teilweise der Wunsch, der Bevölkerung zu Hause Erfolge vorzuweisen und die Kampfmoral der eigenen Truppen zu stärken.

Die Ukrainer hätten hingegen seit dem Rückzug aus der Stadt Lyssytschansk erfolgreich russische Angriffe zurückgeschlagen, so die Angaben der britischen Experten. Die Verteidigungslinie sei seitdem verkürzt und gestärkt worden, was sich als wesentlich erwiesen habe, um der russischen Offensive den Schwung zu nehmen.

Landesweiter Luftalarm

Am Freitagabend heulten in der gesamten Ukraine die Sirenen. Der landesweite Luftalarm wurde angesichts neuer russischer Angriffe ausgelöst.

Russland beschoss die ukrainische Stadt Dnipro mit Raketen. Laut ukrainischen Angaben sind mindestens drei Menschen ums Leben gekommen. Der zuständige Gouverneur, Valentin Resnitschenko, berichtete, dass zudem 15 Personen verletzt worden seien. Die Raketen hätten eine Industrieanlage und eine belebte Straße daneben getroffen. 

In sozialen Netzwerken kursierten Videos und Fotos, die fliegende Raketen und Rauchwolken zeigen.

Der Gouverneur des zentralukrainischen Gebiets Poltawa, Dmytro Lunin, bestätigte Explosionen in Krementschuk. Eine weitere Rakete wurde laut dem Odessaer Militärgouverneur Maxym Martschenko über dem südukrainischen Gebiet abgeschossen. Details zu möglichen Opfern und Zerstörungen waren noch nicht bekannt.

Russland Gesellschaft "verkrüpelt"

Angesichts neuer Angriffe auf mehrere Regionen am Abend appellierte Präsident Wolodymyr Selenskij einmal mehr an seine Landsleute, Luftalarm nicht zu ignorieren. Selenskij rief die Bürger zur Wachsamkeit auf.

Zugleich warnte er Moskau, dass der bereits seit fast fünf Monaten andauernde Krieg auch in Russland nicht folgenlos bleiben werde.

Selenskij sieht auch die russische Gesellschaft angesichts des Kriegs gegen sein Land für Jahrzehnte geschädigt. Die Ukraine werde sich "Menschlichkeit und Zivilisation" bewahren, sagte er in der Nacht auf Samstag in seiner Video-Ansprache. Zerstörte Bildungseinrichtungen würden wieder aufgebaut, versprach er. "Aber die russische Gesellschaft mit so vielen Mördern und Henkern wird für Generationen verkrüppelt bleiben - und zwar aus eigener Schuld."
 

Angriffe im Osten verstärkt

Die russischen Streitkräfte haben nach einer Umgruppierung ihrer Kräfte die Angriffe im Osten des Landes wieder verstärkt. Die Ukraine habe in den vergangenen 24 Stunden russische Sturmversuche in Richtung Bachmut und vor Donezk abgewehrt, teilte der Generalstab in Kiew am Samstag mit. "Nach einer Umgruppierung hat der Feind den Angriff auf das Wärmekraftwerk Wuhlehirsk wieder aufgenommen, die Kampfhandlungen halten an", heißt es.

Auch die Militärexperten des Institute for the Study of the War (ISW) haben beobachtet, dass die russischen Truppen die Verschnaufpause beenden, die sie nach der Einnahme des Ballungsraums Sjewjerodonezk/Lyssytschansk eingelegt haben. Derzeit handle es sich noch um kleinere Gefechte. "Wenn die operative Pause tatsächlich zu Ende ist, werden die Russen wahrscheinlich in den nächsten 72 Stunden ihre Angriffe fortsetzen und verstärken", heißt es in der Analyse des ISW.

Kiew bestätigt Erhalt von neuem Raketenwerfersystem M270

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben ein neues Raketenwerfersystem aus dem Westen erhalten. „Keine Gnade für den Feind“, schrieb Verteidigungsminister Olexij Resnikow auf Twitter. Die M270-Systeme würden den US-amerikanischen Himars „auf dem Schlachtfeld gute Gesellschaft“ leisten. Ob nur eines oder mehrere der M270-Systeme geliefert wurden, ging aus dem Tweet nicht eindeutig hervor. Großbritannien hatte der Ukraine zuletzt solche Waffen zugesagt. Die M270-Systeme auf Kettenfahrgestell können im Unterschied zu den auf Lastwagen montierten Himars zwölf statt sechs Raketen laden.

Summer Shield 2022 military exercise in Adazi military base

Prorussische Besatzer in Südukraine drohen Kritikern mit Abschiebung

In besetzten Teilen der Ukraine drohen die von Russland eingesetzten Verwaltungen Bewohnern mit Ausweisungen auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet, wenn diese Kritik an der neuen Führung äußern. Damit solle die „Ordnung gewahrt“ werden, hieß es in Erlassen in den südukrainischen Gebieten Saporischschja und Cherson.

Die russische Armee hat nach ihrem Einmarsch ins Nachbarland Ende Februar große Teile der Südukraine besetzt. In den besetzten Gebieten protestierten Bewohner allerdings immer wieder gegen die neuen Machthaber.

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