Historischer Gefangenenaustausch: Freigelassene wohlbehalten gelandet

Historischer Gefangenenaustausch: Freigelassene wohlbehalten gelandet
Es ist der größte Austausch seit dem Ende des Kalten Krieges. Der türkische Geheimdienst soll für die Koordinierung verantwortlich sein. 16 Gefangene sind nun freigelassen.

Die in Russland wegen Spionage zu langen Haftstrafen verurteilten US-Bürger Evan Gershkovich und Paul Whelan sind frei. Dies sei Teil eines größeren Gefangenenaustausches mit Beteiligung mehrerer Länder, teilte US-Präsident Joe Biden in einer schriftlichen Stellungnahme mit. "Wir haben die Freilassung von 16 Personen aus Russland ausgehandelt, darunter fünf Deutsche und sieben russische Staatsbürger, die in ihrem eigenen Land politische Gefangene waren."

In Deutschland und den USA gelandet

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz empfing 13 Freigelassene am Flughafen Köln-Bonn. "Das war sehr bewegend", sagte er. "Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben."

Die Maschine mit den drei US-Bürgern erreichte den Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der US-Hauptstadt Washington am späten Donnerstagabend (Ortszeit) nach mehr als neun Stunden Flug, wie US-Medien berichteten. An Bord befanden sich Evan Gershkovich, der ehemalige US-Soldat Paul Whelan und die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva. US-Präsident Joe Biden umarmte Gershkovich nach dem Verlassen der Maschine. Vizepräsidentin Kamala Harris war bei der Ankunft ebenfalls dabei.

Historischer Gefangenenaustausch: Freigelassene wohlbehalten gelandet

Umarmungen von Biden und Harris

Biden und Harris umarmten, den wegen Spionage verurteilten Wall Street Journal-Korrespondenten Evan Gershkovich und den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan nach dem Verlassen der Maschine. "Das ist ein unglaublicher Tag", sagte Harris - das könne man an den Freudentränen der Familienangehörigen sehen. Der Gefangenenaustausch sei ein "außerordentlicher Beweis dafür, wie wichtig es ist, einen Präsidenten zu haben, der die Macht der Diplomatie versteht".

Der Gefangenenaustausch sei ein "harter Brocken" für die Verbündeten der USA gewesen, sagte Biden. Besonders Deutschland und Slowenien hätten Entscheidungen treffen müssen, die "gegen ihre unmittelbaren Interessen waren".

Biden betonte mit Blick auf die Freigelassenen: "Einige dieser Frauen und Männer werden seit Jahren zu Unrecht festgehalten. Sie alle haben unvorstellbares Leid und Ungewissheit ertragen müssen. Heute hat ihr Leid ein Ende."

Der Demokrat dankte den anderen beteiligten Ländern, die sich an den komplexen Verhandlungen beteiligt hätten, darunter Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und die Türkei. "Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, warum es so wichtig ist, in dieser Welt Freunde zu haben, denen man vertrauen und auf die man sich verlassen kann", betonte Biden und versicherte, er werde sich auch weiter für die Freilassung von Amerikanern einsetzen, die anderswo auf der Welt zu Unrecht inhaftiert seien.

Historischer Gefangenenaustausch: Freigelassene wohlbehalten gelandet

Die russische Justiz hatte den 32 Jahre alten Reporter Gershkovich Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent der US-Zeitung Wall Street Journal war Ende 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das "Wall Street Journal" wies die Vorwürfe zurück.

Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Whelan war im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit ebenfalls zu 16 Jahren Straflager verurteilt worden. Davor hatte er rund eineinhalb Jahre lang in Haft gesessen, seit 2018. Whelan soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Er soll geheime Daten auf einem USB-Stick erhalten haben. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, beteuerte vehement seine Unschuld und sprach von einem politisch motivierten Urteil.

Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung beider Männer. US-Amerikaner werden immer wieder in Russland wegen Spionage verdächtigt.

Der türkische Geheimdienst MIT teilte mit, dass insgesamt sieben Flugzeuge beteiligt gewesen seien. Ausgetauscht wurden demnach in der türkischen Hauptstadt Ankara Gefangene, die auch in Gefängnissen in Polen und Slowenien, Norwegen und Belarus saßen. Der Geheimdienst MIT hat den Deal nach eigenen Angaben selbst organisiert. Er sprach von einem historischen Gefangenenaustausch. 

Landung auf Militärflughafen in den USA

Das in der türkischen Hauptstadt Ankara gestartete Flugzeug war am Donnerstagabend nach mehr als neun Stunden Flug kurz vor Mitternacht (Ortszeit) auf dem Militärflughafen Joint Base Andrews unweit der US-Hauptstadt Washington gelandet. An Bord befand sich neben Gershkovich und Whelan auch die Journalistin Alsu Kurmasheva.

Geiselnahme, um Freilassung zu erpressen

Der Austausch war seit längerem erwartet worden - Kremlchef Wladimir Putin hatte zuletzt wiederholt die Bereitschaft dazu erklärt. Putin steht in der Kritik, politische Gefangene als Geiseln zu nutzen, um Russen aus westlichen Gefängnissen freizupressen. Die USA hatten etwa auf Freilassung des wegen Spionage verurteilten Reporters Gershkovich vom "Wall Street Journal" bestanden.

Putin hatte wiederum besonders großes Interesse an dem in Deutschland inhaftierten Russen. Der sogenannte Tiergartenmörder hatte in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Das Opfer nannte Putin einen "Banditen", "Mörder" und "blutrünstigen Menschen".

Gefürchteter Propagandaeffekt

Der deutsche CDU-Außenpolitiker Jürgen Röttgen sagte, er fürchte den Propagandaeffekt, der Putin durch den Gefangenenaustausch zukommt. "Das Schlimmste wäre, wenn es jetzt zur Nachahmung kommt. Also wenn jetzt quasi Putin jedem gedungenen Mörder, den er in den Westen schickt, um irgendwelche Menschen auszuschalten (...), wenn er denen sagen kann: Ihr seht ja am Fall des Tiergartenmörders: Ich hole Euch raus."

Beim Tiergartenmörder handelt es sich um den in Deutschland inhaftierten Russen Wadim Krassikow. Er hatte in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Krassikow ist nun im Zuge des Austausches an Russland zurückgegeben worden.

Ein Gericht in Berlin sah es 2021 als erwiesen an, dass der Russe im staatlichen Auftrag den Georgier am 23. August 2019 in der Parkanlage heimtückisch erschoss. Der Mann habe seit langem im Visier Moskaus gestanden, weil ihm vorgeworfen worden sei, während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt zu haben. Er war nach Moskauer Darstellung für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich.

Weil sie gegen den Krieg sind

In Russland hatten sich vor Bekanntwerden des Gefangenenaustauschs Nachrichten einer ungewöhnlichen Verlegung von politischen Gefangenen gehäuft. Sie waren offenbar für den Gefangenenaustausch nach Moskau gebracht worden. Unter den freigelassenen Russen sollen auch der Menschenrechtler Oleg Orlow von der Organisation Memorial und die Künstlerin Alexandra Skotschilenko sein.

Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sie hatten langjährige Haftstrafen erhalten. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert.

Ehrungen in Russland

Die nun freigelassenen Russen könnten in ihrer Heimat nun wie frühere zurückgekehrte Gefangene auf Ehrungen und politische Posten etwa als Abgeordnete in der Staatsduma hoffen, meinte die Politologin Tatjana Stanowaja. Sie hatte bereits zuvor mitgeteilt, dass sich ein großer Austausch anbahne.

Stanowaja meinte, dass für den Austausch die Zeit gedrängt habe, weil US-Präsident Joe Biden seine Amtszeit würdig beenden wolle. Putin wiederum habe Interesse an dem Tauschhandel gehabt, um die langen Vorbereitungen durch die Wahlen in den USA nicht zu gefährden. Für den Kreml sei dies ein Beweis, dass die Amerikaner sehr flexibel und praktisch sein können, wenn sie etwas wollten. "Das heißt, dass sie auch bei der Ukraine zu einem Deal in der Lage sind, wenn sie wollen natürlich."

Kurz zusammengefasst:

  • Russland und der Westen haben den größten Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg abgewickelt.
  • Der türkische Geheimdienst organisierte den Austausch von 26 Häftlingen, darunter US-Reporter Gershkovich
  • An dem Austausch waren mehrere Länder beteiligt. Die Gefangenen sind mittlerweile gut in den USA und Deutschland gelandet.

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