Arbeitskräfte fehlen
Die Gründe dafür sind vielfältig. Die massiven staatlichen Investitionen in die Rüstungsindustrie hätten die Wirtschaft hochgepusht, analysiert die Politologin. Im laufenden Jahr steckt Russland bekanntlich sechs Prozent seines BIP in sein Militär, fast doppelt so viel wie die USA. Doch ist dort ein Produktionsplateau erreicht – und das dürfte der Fall sein –, verliert die Gesamtwirtschaft ihren Wachstumsmotor.
Dadurch sind die Nebeneffekte des ungesunden Wachstums spürbar: Die Inflationsrate liegt bei zehn, der Zinssatz bei 20 Prozent, was Unternehmer vom Investieren abhält. Dazu herrscht Arbeitskräftemangel: In Summe 2,6 Millionen Personen fehlen auf dem Jobmarkt, weil sie wegen des Kriegs ausgewandert oder selbst als Soldaten an der Front sind.
Stillschweigen
Öffentlich angesprochen wurden solche Entwicklungen in Putins Russland eigentlich nie. Nur Putins Zentralbankchefin Elvira Nabiullina, deren Geld- und Zinspolitik dem Kremlchef den Rücken freihielt, durfte sich in der Vergangenheit offen kritisch geben. Sie sprach auch über die unangenehme Tatsache, dass sich Russlands Kriegskasse zusehends leert: Im Nationalen Wohlfahrtsfonds, der sich aus Öl- und Gaseinnahmen speist und die größte staatliche Rücklage ist, liegen nur mehr knapp 35 Milliarden Dollar. Zu Kriegsbeginn war es noch das Fünffache
Dass nun auch Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow öffentlich vor einer „drohenden Rezession“ warnte und Putin höchstselbst ausrückte, um seine Beamten anzuweisen, „das um jeden Preis zu verhindern“, ist deshalb umso bedeutsamer. Experten sind sich schon lange sicher, dass die Zahlen der russischen Behörden geschönt sind, das hat schon seit Sowjetzeiten Tradition – die Warnungen sollen die Bevölkerung wohl auf stürmische Zeiten einstellen.
Heimliche Hilfe
Hilfe in dieser angespannten Lage kommt nun aber von ungewöhnlicher Seite. Wie die New York Times anhand von Daten des US-Finanzministeriums eruiert hat, lässt Washington viele Russland-Sanktionen einfach auslaufen. Während unter Joe Biden monatlich 170 neue Sanktionsmaßnahmen verabschiedet wurden, herrscht seit Trumps Amtsantritt im Jänner absoluter Stillstand. Keine einzige Firma oder Person wurde mit Strafmaßnahmen belegt, obwohl im Tagestakt neue Unternehmen entstehen, die Kriegstechnik exportieren – etwa von China aus.
Für Experten ist das eine Quasi-Einstellung des Sanktionsregimes, das Russlands Wirtschaft bisher gegängelt hat – sanktionierte Firmen werden nämlich in Windeseile von neuen Unternehmen ersetzt. Für Putin ist die Zurückhaltung Trumps deshalb ein Riesengewinn: Die US-Sanktionen waren bisher deutlich schlagkräftiger als jene der EU, Washington hat mehr als doppelt so viele Maßnahmen verhängt wie Brüssel. Zudem hat allein die Androhung von US-Sekundärsanktionen – das sind Strafen für Länder, die mit Russland wirtschaftlich kooperieren – deutlich mehr Gewicht als die europäischen.
Gesprochen wird darüber in Washington aber kaum. Nur vereinzelt regte sich Kritik unter Abgeordneten beider Parteien, als bekannt wurde, dass auch gewisse Oligarchen von der Sanktionsliste verschwunden waren – Karina Rotenberg etwa, die Frau von Putins Jugendfreund Boris Rotenberg. Öffentlich gepoltert hat nur der Republikaner Lindsey Graham, ein großer Freund Kiews. Er hat auch eine Gesetzesvorlage eingebracht, die einen 500-prozentigen Zoll für alle Staaten vorsieht, die weiter russisches Öl und Gas kaufen – auch China und Indien.
Die Aussichten, dass das Gesetz angenommen wird, sind aber dürftig. Bei Trumps erstem Zoll-Rundumschlag war Russland schließlich eines der wenigen Länder, das gar nicht betroffen war.
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