Militärexperte Gady: "Wären wir bereit, in den Krieg gegen Russland zu ziehen?"

Ein ukrainischer Soldat beim Abfeuern eines Mörsers.
Sind wir dem Frieden mit Trumps Gipfeldiplomatie tatsächlich näher gerückt? Oder ist das alles nur Show?
Franz-Stefan Gady: Grundsätzlich ist es gut, dass die USA und Russland miteinander sprechen. Aber eine echte Gesprächsbereitschaft Russlands über einen Waffenstillstand oder sogar Frieden sehe ich nicht. Für mich ist das Hinhaltetaktik: Russland will noch militärische Ziele in der Ukraine erreichen, man will sehen, wie viel Territorium noch erobert werden kann. Und Trump und die Europäer werden hingehalten.
Wenn man Trump und den Europäern nach den Treffen zugehört hat, hatte man allerdings einen völlig gegenteiligen Eindruck.
Die Gespräche wurden teils dilettantisch geführt. Es gab danach keinen Konsens, etwa bei den Sicherheitsgarantien. Das einzige, was feststeht, ist dass es vor Gesprächen keinen Waffenstillstand geben wird – eben weil Russland weiter angreifen will.
Trump hat auch Putins Idee eines Gebietstauschs aufgenommen, schönfärberisch für Gebietsabtretungen. Beobachter fühlen sich an 1938 erinnert, als Nazideutschland das Sudetenland bekam – Hitler marschierte dennoch in die Tschechoslowakei ein. Ist der Vergleich zulässig?
Ich komme gerade aus dem Sudetenland, meine Familie ist dort auf Urlaub. Eine Parallele gibt es jedenfalls auf militärischer Ebene: Die Tschechen hatten damals ihre effektivsten Verteidigungsanlagen im Sudetenland, diese Befestigungsanlagen fielen ohne einen Schuss in die Hände der deutschen Wehrmacht. So war es einfach, die „Rest-Tschechei“, wie es Hitler damals nannte, zu zerschlagen.
Auch die Ukrainer müssten in einem Landtausch ihre Hauptbefestigungslinie im Donbass aufgeben, den Festungsgürtel bei Slowjansk, Kramatorsk und Kostjantyniwka. Realistisch ist das aber nicht. Die Ukrainer sind gewillt, dort bis zum Letzten zu kämpfen. Das wurde mir auch von Kommandeuren zugesichert, die ich bei meinem letzten Besuch traf.
Hat die Ukraine noch die militärischen Mittel dazu?
Die Lage für die Ukraine ist negativ, aber nicht katastrophal. Eine Abtretung wäre nur dann denkbar, wenn es eiserne Sicherheitsgarantien gibt, ähnlich dem Artikel 5 der NATO samt einer Absicherung der USA. Oder die militärische Lage ist so katastrophal und die Front ist kollabiert, sodass sie keine Wahl haben. Keine der Optionen ist derzeit realistisch.
Sie waren im Juli an der Front. Es heißt, gewisse Abschnitt sind so ausgedünnt, dass über Kilometer kein Soldat mehr steht. Stimmt das?
Ja. Das ist aber nicht nur dem Personalmangel geschuldet, sondern dem verstärkten Drohneneinsatz. Drohnen haben teils die Rolle der Infanterie übernommen, da Stellungen auf offenen Flächen kaum mehr besetzt werden – das kommt einem Suizidpakt gleich, weil man sofort von Gleitbomben, gegnerischen Drohnen oder Artillerie attackiert wird.

Franz_stefan Gady forscht am International Institute for Strategic Studies in London, berät Regierungen und Streitkräfte. Er war in Afghanistan und im Irak, reist regelmäßig an die ukrainische Front. Zuletzt erschien sein Buch „Die Rückkehr des Krieges“ (Quadriga).
Wie ist die Stimmung unter den Soldaten?
Für die Umstände ist die Moral extrem hoch. Es wird sehr schwer sein, den Soldaten dort einen Rückzugsbefehl zu geben. Im Donbass etwa halten sie die Front schon seit 2014, für die Männer dort gibt es keinen Schritt zurück. Und wenn, nur in Leichensäcken.
Was die Moral untergräbt, ist die statische Verteidigung. Höhere Offiziere sagen auf digitalen Karten, wo die Frontlinie verlaufen muss, welche Positionen besetzt werden. Sie haben keinen direkten Einblick ins Gelände, und Rückzüge dürfen nur vom Oberbefehlshaber, General Sirskij, genehmigt werden. Das führt zu großer Frustration: Die Soldaten wollen nicht sinnlos sterben, indem sie Positionen halten, die schlecht ausgesucht sind.
Im ukrainisch gehaltenen Teil des Donbass leben noch 300.000 Menschen. Was passiert mit den Menschen, wenn Russland übernimmt?
Ukrainische Soldaten verdächtigen Zivilisten dort teils, Sympathisanten Russlands zu sein, also nur auf die Übernahme zu warten. Andererseits ist die Identität im Donbass mittlerweile sehr ukrainisch. Krieg ist immer eine Abwesenheit von Optionen: Viele dieser Menschen haben nichts bis auf die Häuser, die sie sich dort mühsam erkauft haben, haben ihre Kinder dort großgezogen, ihre Eltern dort begraben. Die wollen einfach nicht mehr weg.
Befriedet wäre das lange umkämpfte Gebiet damit wohl auch nicht.
Das ist das große Thema der Sicherheitsgarantien. Nötig wäre dafür eine Stationierung europäischer Truppen als schnelle als Einsatztruppe im Hinterland, plus eine maritime Präsenz im Schwarzen Meer und im ukrainischen Luftraum. All das lehnt Russland natürlich ab.
Die große Frage ist daher: Was bedeutet die Ukraine für uns in Europa und in den USA? Wären wir bereit, in den Krieg zu ziehen, eine direkte Konfrontation mit Russland zu riskieren – also Truppen zu schicken, auch wenn Moskau dagegen ist?
Welche Länder Europas stellen sich diese Frage schon?
Die Koalition der Willigen, also Frankreich und Großbritannien, hat bereits militärische Pläne, eine Vorhut hat erkundet, wo Truppen stationiert werden könnten. Unklar ist aber, ob Deutschland, einzelne skandinavische Länder oder Italien auch Truppen schicken würden, ob die Türkei eine Rolle im Schwarzen Meer übernimmt. Und wie man die ukrainische Armee integriert, die nach wie vor das Hauptabschreckungswerkzeug für eine erneute russische Aggression wäre.
Möglich wäre auch eine UN-Friedenstruppe entlang der Frontlinie mit Staaten aus dem globalen Süden, hinter der die ukrainische Armee und dann die europäischen Truppen stationiert sind.
Wären die Europäer fähig, das militärisch auch alleine zu stemmen? Oder nur mit den USA?
Das würde die europäischen Streitkräfte bis aufs Äußerste strapazieren, aber es wäre möglich – wenn die NATO ihre regionalen Verteidigungspläne ändert, also viele Einheiten, die für den NATO-Verteidigungsfall vorgesehen sind, abzieht, und auch andere europäische Missionen in der Welt heruntergefahren werden. Nötig wären zumindest drei mechanisierte Brigaden zu je 3000 bis 5000 Mann, gepanzerte Fahrzeuge, circa 70 Kampfflugzeuge, dazu eine türkisch angeführte Marinepräsenz. Die Brigaden würden an den Hauptangriffsachsen der Russen positioniert sein, als Abschreckungsgruppe.
Aber ohne eine Antwort auf die Frage, wie weit wir als Europäer für die Ukraine gehen, ist all das verfrüht. Da wünsche ich mir Klarheit. Dieses Antanzen im Weißen Haus ist ja klug, weil man alles tun muss, um die Amerikaner im Boot zu halten. Aber wir sollten die Illusion ablegen, dass mit dieser Trump-Regierung harte Sicherheitsgarantien für die Ukraine möglich sind.
Bei Trump gibt es nur eine Konstante: Er will diesen Konflikt früher oder später an uns abgeben. Und wir sind noch nicht bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, abseits der blumigen Rhetorik.
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