Benzinkrise in Russland: Kiews Drohnen treffen Putins wunden Punkt

"Benzin: Njet“, steht auf dem Schild vor der Tankstelle, wo üblicherweise die Spritpreise angeschrieben sind. Davor reiht sich Auto an Auto, die Schlange ist kilometerlang, in der Hoffnung auf einen Tankwagen. Doch selbst wenn der kommt, bleibt der Sprit oft unleistbar: Die Preise haben sich seit Jänner mancherorts verdoppelt.
Diese Szene stammen aus Russland, dem rohstoffreichsten Staat der Welt. Das Land steckt in einer veritablen Benzinkrise, die auch die sonst zaghaften kremlnahen Medien in Panik versetzt: „Aus vielen Tankstellen ist der Treibstoff komplett verschwunden“, schreibt der Moskowskij Kosmomlets.
Schuld daran sind – laut Putins Medien – die Urlaubs- und Erntesaison, die im Spätsommer stets für eine gewisse Knappheit sorgten. Die wirkliche Ursache, eine Reihe ukrainischer Drohnenattacken auf Erdölraffinerien, wird höflich umschrieben. In den Medien ist von „außerplanmäßigen Reparaturen“ an den Anlagen die Rede, deren Ausmaße nicht abschätzbar seien.
17 Prozent weggefallen
Tatsächlich ist das Ausmaß der ukrainischen Angriffe aber beispiellos. Seit Anfang Juli haben Kiews Streitkräfte neun Raffinerien mit Drohnen attackiert; am Mittwoch wurde sogar die zentrale Pipeline nach Moskau in Brand gesetzt. Bis zu 17 Prozent der russischen Produktion sind dadurch weggefallen, haben Experten berechnet, offizielle Zahlen zu Benzinbeständen gibt es nämlich nicht – die Behörden veröffentlichen schon seit Längerem nichts mehr, aus Angst vor „Marktmanipulationen“.
Kompensieren können die Firmen die Ausfälle bis auf Weiteres kaum. Auch daran hat die Ukraine ihren Anteil: In den letzten Monaten wurden Bahnverbindungen bombardiert, eigentlich um Nachschubrouten für die Armee zu torpedieren. Das führte zunächst zu erhöhtem Benzinverbrauch, weil viele Russen auf das Auto umstiegen – jetzt verunmöglicht das den Unternehmen aber auch, Benzin per Zug von einer Region in die nächste zu transportieren.
Stärker als Sanktionen
Kiew trifft damit ins Herz von Putins Kriegsmaschine, der Energiewirtschaft. Die ölt die Invasion wie keine andere Sparte; ein Drittel des Staatsbudgets stammt aus dem Öl- und Gasexport. Schon 2024 hatte Kiew probiert, den Energiemarkt zu attackieren, aber mit weniger Erfolg. Dass es jetzt gelungen ist, liegt an reichweitenstärkeren Drohnen und besserer Koordination, schreibt Sergey Vakulenko, Experte bei Carnegie Europe. Oft würden Raffinerien, die gerade repariert würden, wieder und wieder angegriffen – manche Werke fielen so für sehr lange Zeit aus.
Kiews Kalkül dabei ist, bei Verhandlungen mehr Gewicht zu erlangen: Je weniger Geld aus der Energieindustrie in den Krieg fließt, desto eher komme es zu Gesprächen. Damit, wird in Kiew halb scherzhaft gesagt, habe man erreicht, was eigentlich Brüssel mit den Russland-Sanktionen habe schaffen wollen.
Die EU muss sich nämlich angesichts noch immer laufender Importe aus Russland an der Nase nehmen lassen. Brüssel kritisiert gern, dass Ungarn und die Slowakei nach wie vor Pipelinegas aus Moskau beziehen. Dass Spanien, Frankreich und die Niederlande russisches Flüssiggas per Schiff geliefert bekommen, dem Kreml seit Kriegsbeginn so mehr als 100 Milliarden Euro an Einnahmen verschafft haben, bleibt aber meist unerwähnt. Darauf hat die Ukraine jetzt per Drohnenattacke hingewiesen: Nicht nur die Pipeline nach Ungarn und die Slowakei wurde bombardiert, sondern auch der Terminal in Petersburg, von dem Schiffe nach Europa auslaufen. Mit Erfolg.
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