Kreml distanziert sich von russischem Diplomaten, der das Handtuch warf

Die ukrainische Stadt Kherson, die nun unter russischer Besetzung ist.
Harte Kritik an "Verbrechen" gegen ukrainisches und russisches Volk. Der Kreml distanziert sich. "Er ist gegen uns."

Ein russischer Diplomat am UNO-Sitz in Genf ist aus Protest gegen den Ukraine-Krieg zurückgetreten. In den 20 Jahren seiner diplomatischen Laufbahn habe er sich "nie so sehr für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres", schrieb Boris Bondarew in seinem am Montag bekanntgewordenen Rücktrittsschreiben unter Bezug auf den Beginn des russischen Angriffskriegs vor drei Monaten.

Die Invasion im Nachbarland bezeichnete Bondarew als "Verbrechen nicht nur gegen das ukrainische Volk, sondern auch als das vielleicht schwerste Verbrechen gegen das russische Volk". Der Buchstabe "Z" - Symbol für die Unterstützung des Angriffskriegs - durchkreuze "alle Hoffnungen und Aussichten auf eine florierende freie Gesellschaft in unserem Land".

Am Dienstag distanzierte sich dfer Kreml: „Man kann hier wahrscheinlich nur sagen, dass Herr Bondarew nicht mehr zu uns gehört - vielmehr, dass er gegen uns ist“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax.

Bondarew warf den Urhebern des Krieges vor, es gehe ihnen um nichts Anderes als darum, "für immer an der Macht zu bleiben". Sein Schreiben wurde an mehrere diplomatische Vertretungen in Genf verschickt und von der Nachrichtenagentur AFP eingesehen.

Bondarew erklärte darin seinen Rücktritt nicht nur von seinem Posten in Genf, sondern aus dem gesamten diplomatischen Dienst seines Landes. Hillel Neuer von der Nichtregierungsorganisation UN Watch appellierte an alle anderen russischen Diplomaten, "dem moralischen Vorbild" Bondarews zu folgen und ebenfalls zurückzutreten.

Boris Bondarews Brief im Wortlaut:

Längst überfällig, aber heute trete ich aus dem öffentlichen Dienst aus. Genug ist genug.

In den zwanzig Jahren meiner diplomatischen Laufbahn habe ich verschiedene Wendungen unserer Aussenpolitik erlebt, aber noch nie habe ich mich so für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres.

Der von Putin entfesselte Angriffskrieg gegen die Ukraine, ja gegen die gesamte westliche Welt, ist nicht nur ein Verbrechen gegen das ukrainische Volk, sondern vielleicht auch das schwerste Verbrechen gegen das russische Volk … mit dem fettgedruckten Buchstaben Z wurden alle Hoffnungen und Aussichten auf eine blühende freie Gesellschaft in unserem Land durchgestrichen.

Diejenigen, die sich diesen Krieg ausgedacht haben, wollen nur eines – für immer an der Macht bleiben, in pompösen, geschmacklosen Palästen leben, auf Jachten segeln, die in Tonnage und Kosten mit der gesamten russischen Marine vergleichbar sind, und dabei unbegrenzte Macht und völlige Straffreiheit geniessen.

Um das zu erreichen, sind sie bereit, so viele Menschenleben zu opfern, wie es nötig ist. Tausende von Russen und Ukrainern sind dafür bereits gestorben.

Ich muss leider zugeben, dass in diesen zwanzig Jahren das Niveau der Lügen und der Unprofessionalität in der Arbeit des Aussenministeriums immer höher geworden ist.

In den letzten Jahren ist dies jedoch schlichtweg katastrophal geworden. Statt unvoreingenommener Informationen, unparteiischer Analysen und nüchterner Prognosen gibt es Propaganda-Klischees im Geiste der sowjetischen Zeitungen der 1930er Jahre. Es ist ein System entstanden, das sich selbst betrügt.

Minister [Sergej] Lawrow ist ein gutes Beispiel für die Degradierung dieses Systems. Innerhalb von 18 Jahren wurde er von einem professionellen und gebildeten Intellektuellen, den viele meiner Kollegen so sehr schätzten, zu einer Person, die ständig widersprüchliche Erklärungen abgibt und der Welt (also auch Russland) mit Atomwaffen droht!

Heute geht es im Aussenministerium nicht um Diplomatie. Es geht nur um Kriegstreiberei, Lügen und Hass. Es dient den Interessen einiger weniger, der allerwenigsten Menschen und trägt damit zur weiteren Isolierung und Degradierung meines Landes bei.

Russland hat keine Verbündeten mehr, und niemand ist daran schuld, ausser die rücksichtslose und schlecht durchdachte Politik.

Ich habe eine Ausbildung zum Diplomaten gemacht und bin seit zwanzig Jahren Diplomat. Das Ministerium ist mein Zuhause und meine Familie geworden. Aber ich kann diese blutige, witzlose und absolut unnötige Schande einfach nicht mehr mittragen.

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