Massenproteste: Rumänen laufen jeden Abend Sturm gegen korrupte Justiz

Protest in Bukarest
Richter, die Fälle verschwinden lassen oder verzögern - eine Dokumentation über die korrupte Justiz im Land treibt täglich Tausende Menschen auf die Straßen.

Am Anfang stand ein zweistündiger Film, ausgestrahlt vergangenen Dienstag - seither versammeln sich in Rumänien jeden Tag Tausende Menschen, um zu protestieren. Gegen verheerende Missstände in der Justiz, gegen Korruption und gekaufte Richter. Zu sehen sind im Film mit dem Titel "Gekaperte Justiz", wie politisch ernannte Oberste Richter juristische Schlupflöcher für unethische Praktiken nutzen, darunter fragwürdige Freisprüche. 

Staatsanwälte und Richter, einige anonym, andere mit Namen und Gesicht, beschreiben detailliert, wie Rumäniens Justiz politisch gelenkt wird - wie große Korruptionsverfahren in Schubladen verschwinden, wie gewissenhafte Staatsanwälte und Richter von Vorgesetzten ausgebremst und bestraft werden, wie manche Politiker und Staatsbeamte straflos Millionensummen veruntreuen.

Der von der Journalistenplattform Recorder gedrehte Film erschütterte das Land, binnen weniger Tage wurde er auf Youtube mehr als 4,5 Millionen Mal geklickt.

Seither demonstrieren jeden Abend Tausende Menschen in Bukarest und einigen anderen Städten gegen die verheerenden Zustände in der Justiz und gegen deren politische Beeinflussung. Rund 10.000 Menschen protestierten am späten Sonntagabend allein in Bukarest und riefen „Gerechtigkeit statt Korruption“, „Wir sehen euch“ und „Unabhängigkeit statt Gehorsam“.  

Auch an die 800 rumänischen Richter und Staatsanwälte haben in einem offenen Brief in den sozialen Medien eine „tiefgreifende und systemische Dysfunktionalität“ im Justizsystem beklagt. Zu den Unterzeichnern gehört auch Laura Codruța Kovesi, ehemalige Leiterin der rumänischen Nationalen Antikorruptionsbehörde (DNA) und derzeitige Chefanklägerin der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO).

Entlassungen gefordert

Die Demonstranten fordern die Entlassung von Justizminister Radu Marinescu, Innenminister Cătălin Predoiu, dem Leiter der Nationalen Antikorruptionsdirektion, Marius Voineag, und der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Lia Savonea.

Protest for judicial independence 'Together for Justice' in Bucharest

Protest in der rumänischen Hauptstadt Bukarest

Rechtsexperten zufolge haben Änderungen vor drei Jahren, die den Vorsitzenden Richtern der Justizaufsichtsbehörde uneingeschränkte Macht über ihre Untergebenen einräumten, den Weg für die nun beklagten Missbräuche geebnet. 

Dabei hatte die EU-Kommission das rumänische Justizsystem nach dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 unter besonderer strenger Beobachtung gehalten. Nachdem diese Beobachtung 2023 aufgehoben wurde, verlangsamte sich das Tempo der Antikorruptionsermittlungen - die Justiz sprach einige hochrangige Verurteilte frei, was die Befürchtung aufkommen ließ, dass der Kampf gegen die Korruption nachgelassen hat.
In einer ersten Reaktion auf das Video hatte das Bukarester Berufungsgericht die Behauptungen im Film entschieden zurückgewiesen, sie seien nur eine Ansammlung „manipulativer Darstellungen“. Umbesetzungen von Richtergremien beruhten nur auf einer Umverteilung der Arbeitslast und nicht auf externem Druck. Die Dokumentation von  Recorder hatte behauptet, dass Richter routinemäßig versetzt wurden, um Korruptionsverfahren bis zum Eintritt der Verjährung hinauszuzögern.

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