Rishi Sunak: Den einen zu reich, den anderen zu langweilig

Das war wohl etwas voreilig. „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mich für die Erreichung dieser Ziele zur Rechenschaft ziehen“, sagte Rishi Sunak bei seiner Neujahrsrede im Jänner.
Konkret versprach er, die Inflation zu halbieren, ein Wirtschaftswachstum herbeizuführen, den staatlichen Schuldenberg zu senken, die Wartelisten des staatlichen Gesundheitssystems zu kürzen und außerdem die Flüchtlingsboote über den Ärmelkanal zu stoppen.
Keine allzu überraschenden Ansagen, aber nach 300 Tagen als Premierminister Großbritanniens könnte sie der Konservative dennoch bereuen. Denn die Staatsverschuldung ist erstmals seit 1961 über 100 Prozent des BIP gestiegen. 7,57 Millionen britische Bürger stehen auf den Wartelisten des NHS, deutlich mehr als im Vorjahr. Und seit Jahresbeginn sind 17.000 Migranten in kleinen Booten angekommen. Einzig bei der Inflation gibt es einigermaßen gute Nachrichten: Zum zweiten Mal in Folge ist die Geldentwertung gebremst, von 7,9 auf 6,8 Prozent.
„Stabilität gebracht“
Politik-Experte Matthew Flinders von der Universität Sheffield sieht dennoch Erfolge. „Rishi Sunak übernahm ein Amt, das viele für einen Giftbecher hielten.“ Es wäre nie einfach gewesen, sich von dem Chaos nach Boris Johnson – Sunaks Vorgänger – zu erholen: „Seine etwas langweilige und technokratische Persönlichkeit hat Stabilität gebracht.“
Tim Bale, Politikprofessor von der Queen Mary Universität, geht mit Sunak härter ins Gericht: „Wenn es ihm nicht gelingt, auch nur diese dürftigen Versprechen zu erfüllen, kann man ihn wirklich als Versager bezeichnen. Ich nehme an, er hofft, dass die Wähler ihn für seine Bemühungen belohnen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie so großzügig sind.“
Die Briten wirken aktuell jedenfalls nicht überzeugt. In einer YouGov-Umfrage sprechen sich 65 Prozent gegen Sunak aus. Viele sind irritiert von einem Premier, der nicht nur vier Luxusimmobilien und 230 Millionen Euro besitzt, sondern auch politisch so tickt. Hausbesitzer, die sich über steigende Zinssätze für ihre Kredite sorgten, müssten nur „die Nerven behalten“, meinte er beschwichtigend.
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Realitätsfremd nennt ihn die Labour-Opposition, auch als Sunak im Herbst 2023 um 470.000 Euro in Yorkshire Pool, Spa und Tennisplatz erneuern ließ. Im Mai deckte der Guardian auf, dass der Pool so viel Energie verbraucht, dass das örtliche Stromnetz überlastet war. Sunak blieb stumm.
Der Klimawandel ist ein Thema, das der Premier gerne umschifft. „Rishi Sunak wird zum Klimaradikalen der falschen Art“, analysierte Bloomberg, als Sunak Anfang August verkündete, 100 neue Öl- und Gaslizenzen in der Nordsee zuzulassen. Aus Protest hüllte Greenpeace seinen Landsitz in schwarze Banner. Anti-Klimapolitik für konservative Wähler? Professor Rodwan Abouharb vom University College London zweifelt, dass das wirkt: „Das mag konservative Stammwähler besänftigen, doch der Ansatz geht an einer Wurzel der konservativen Philosophie vorbei: Die Rücksicht auf die Umwelt.“

Nicht chancenlos
Das kommende Jahr wird also entscheidend. „Wenn er die Parlamentswahlen verliert, ist es schwer vorstellbar, dass er im Amt bleibt“, sagt Bale. „Ein Premier tritt nach einem Rauswurf selten noch einmal an. Warum sollte das bei Sunak – der jung ist und dem es nicht an Optionen mangelt – anders sein?“
Derzeit liegt Labour 17 Prozentpunkte vorne. Flinders gibt Sunak trotzdem Chancen: „Im Moment überlebt Labour, indem man die Tories angreift. Irgendwann werden sie beweisen müssen, dass sie regieren können.“
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