Recht und Macht: Wie US-Sanktionen den IStGH und seine Richter behindern
Internationaler Strafgerichtshof in Den Haag
Als Nicolas Guillou im September über das Online-Reisebüro Expedia ein Hotelzimmer buchte, erhielt er wenige Stunden später die überraschende Nachricht: „Ihre Buchung wurde storniert.“ Begründung: Der 50-jährige französische Richter am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag steht seit Ende August auf der Sanktionsliste des US-Außenministeriums.
Dort finden sich an die 15.000 Namen – die allermeisten sinistre Kriminelle , Chefs oder Mitglieder der Mafia, von internationalen Verbrecherkartellen, Geldwäscher, Terroristen und Islamisten der Al Kaida oder des Islamischen Staates. Und seit heuer auch sieben Richter und Richterinnen sowie der Chefankläger und zwei weitere Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofes.
Deren „Vergehen“ war es, den Interessen der USA und deren Verbündeten Israel in die Quere gekommen zu sein. Konkret waren es die im November 2024 ausgestellten Haftbefehle des IStGH gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu und dessen früheren Verteidigungsminister Joaw Galant.
Die beiden werden für das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung sowie für Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Gaza-Krieges verantwortlich gemacht.
Minister Rubio tobt
Der Haftbefehl gegen Netanjahu ist der erste wegen Kriegsverbrechen gegen den Führer eines vom Westen unterstützten demokratischen Landes – und für die USA völlig inakzeptabel. Das ganze Gericht, tobte US-Außenminister Marco Rubio, sei eine „Bedrohung der nationalen Sicherheit gegen die Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten Israel.“
Schon in Donald Trumps erster Amtszeit hatte der US-Präsident Mitarbeiter des Gerichts, die wegen mutmaßlicher Vergehen von US-Soldaten in Afghanistan ermittelten, auf die US-Sanktionsliste setzen lassen. Doch heuer kam es Schlag auf Schlag: Im Februar setzten die USA den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, auf die gefürchtete Liste.
Im Juni folgte die selbe Strafmaßnahme für mehrere Richterinnen des IStGH, darunter auch die slowenische Richterin Beti Hohler. Im Ende August folgte eine weitere amerikanische Sanktionskeule, die dieses Mal auf den Franzosen Nicolas Guillou nieder donnerte.
Für die mittlerweile sieben unabhängigen Richter und Richterinnen, drei Ankläger und mehrere NGOs, die ihrer vorgegebenen Arbeit im Rahmen internationaler Rechte nachgingen bedeutet das: keine Einreisen mehr in die USA, Vermögenswerte in den USA werden eingefroren. Viel schlimmer aber noch: US-Bürger und US-Unternehmen dürfen keine Geschäfte mehr mit den Sanktionierten machen.
IStGH
Der in Den Haag angesiedelte Internationale Strafgerichtshof (IStGH, englisch: ICC) verfolgt seit 23 Jahren Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 125 Staaten, darunter auch Österreich, gehören ihm an. Nicht dabei sind die USA, China, Russland, Israel u.a..
Haftbefehle
Der Strafgerichtshof kann Haftbefehle erlassen, die in allen Unterzeichnerstaaten gültig sind. Solch ein Haftbefehl wurde etwa gegen Kremlchef Wladimir Putin erlassen. Im November 2024 hat der IStGH auch Haftbefehle gegen Israels Premier Netanjahu und dessen Ex-Verteidigungsminister Joaw Galant erwirkt. Die Haftbefehle sind lebenslang gültig.
Ohne Bankkarte
„Weil nahezu alle Zahlungssysteme amerikanische sind – American Express. Visa, Mastercard – steht man praktisch über Nacht ohne Bankkarte da“, schildert Guillou der französischen Zeitung Le Monde. Microsoft, Paypal, sogar Amazon verweigert die Hauszustellung – alle US-Technologiefirmen verweigern wegen der Sanktionen die Zusammenarbeit.
Richter am IStGH: Nicolas Guillou
Eine betroffene Richterin schilderte, dass auch ihre Konten in ihrem Heimatland eingefroren wurden, zumal ihre mit den USA verbundene Bank aus Sorge vor den US-Sanktionen gleich vorsorglich alles zudrehte. Einige andere Mitarbeiter des Gerichts, die zu Gaza ermittelten, kündigten angesichts des massiven Drucks aus Washington gleich freiwillig.
Der Protest Dutzender Staaten verhallte in den USA ungehört, auch Österreich „bedauert die neuen Sanktionen, die die USA gegen vier Richter des IStGH verhängt haben, zutiefst.“ Mit einer Milderung der Sanktionen ist jedoch nicht zu rechnen – im Gegenteil: Beim Strafgerichtshof verdichten sich die Sorgen, dass sich die USA den gesamten IStGH vorknüpfen und unter Sanktionen stellen könnte. Weil der US-Konzern Microsoft bereits einem Staatsanwalt den eMail-Zugang sperrte, greift der Gerichtshof nun zu Ausweichmethoden. Von Microsoft wird der IStGH auf Open Desk, eine europäiosche Open-Source-Alternative umstellen. Generell sollen die Abhängigkeiten von den US-Technologiereisen reduziert, alternative Anbieter von Bankdienstleistungen und Software gesucht werden. Und um potenziellen Schaden zu verhindern die Mitarbeiter des IStGH bereits im Oktober die Gehälter für den Rest des Jahres auf einmal.
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