"Bei einer Einreise in Österreich müsste Netanjahu verhaftet werden"

Wenn Benjamin Netanjahu heute, Mittwoch, nach Ungarn reist, müssten eigentlich die Handschellen klicken. Der per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) gesuchte israelische Regierungschef müsste in ein Flugzeug gesetzt und nach Den Haag vor das internationale Gericht gebracht werden.
Doch nichts davon wird während des bis Samstag dauernden Besuchs passieren: Ungarns Premier Viktor Orbán hat Netanjahu höchstpersönlich eingeladen – und das ganz demonstrativ sofort, nachdem der Strafgerichtshof Ende November gegen Netanjahu und dessen damaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant Haftbefehle ausgestellt hatte. „Wir werden den Haftbefehl ablehnen, wenn Netanjahu die Einladung annimmt“, hatte Orbán versprochen.
Erste Reise nach Europa
Die erste Europa-Reise des israelischen Regierungschefs seit dem Haftbefehl wird nur möglich, weil Ungarn seine eigenen, vertraglich garantierten Verpflichtungen bricht: Ebenso wie Österreich hat auch Ungarn vor mehr als 20 Jahren das sogenannte „Römische Statut“ des IStGH ratifiziert.
„Rechtlich ist es klar“, sagt Völkerrechtler Ralph Janik im Gespräch mit dem KURIER, „aber im Fall Ungarns will sich die Politik dem Recht, das man sich selbst gesetzt hat, nicht beugen.“
Gegen Israel
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat Ende November eine Reihe von Haftbefehlen erlassen: Gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu und dessen früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant. Der Vorwurf: Es gebe "ausreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu und Gallant absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben". Netanjahu und Gallant stehen unter dem Verdacht Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen verübt zu haben.
Hamas-Terroristen
Ein Haftbefehl erging auch an den Militärführer Mohhamed Deif. Er ist bereits tot. IStGH-Chefankläger Khan hatte auch gegen die Hamas-Führer Jahja Sinwar und Ismail Hanija Haftbefehle beantragen wollen. Beide waren aber zuvor von Israel getötet worden.
Kein Spielraum
Und was würde passieren, wenn Netanjahu nach Österreich käme?
„Die Frage einer Einreise nach Österreich stellt sich aktuell nicht“, heißt es dazu aus dem Außenministerium. „Alle Vertragsparteien zum Römer Statut des IStGH – also auch Österreich – sind völkerrechtlich verpflichtet, Haftbefehle des IStGH umzusetzen.“
Einen gesetzlichen Spielraum gebe es dafür nicht, meint Janik. Nicht einmal, wenn der israelische Premier den UNO- und OSZE-Standort Wien anpeilen würde. Wobei der Experte klarstellt: Israel ist kein Mitglied der OSZE, und Treffen auf Ebene von Regierungschefs „finden bei der UNO nicht in Wien, sondern in New York statt“.
Womit für den Völkerrechtler – auf der Basis des Bundesgesetzes zu Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen – feststeht: „Wenn Netanjahu einreisen würde, müsste er verhaftet werden.“
Geschehe das nicht, wie es offenbar Ungarns Regierung vorhat, „führt man die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes ad absurdum“. Denn Konsequenzen oder Strafen hat Ungarn nicht zu erwarten.
Stattdessen aber reagieren mehr und mehr afrikanische Staaten. Dort wird der Vorwurf laut: Bei per Haftbefehl gesuchten afrikanischen Politikern habe Europa nie Bedenken, da werde mit zweierlei Maß gemessen.
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