Puigdemont-Festnahme in Italien politisch und rechtlich brisant
Die italienische Grenzpolizei wartete schon auf den prominenten Flüchtling vor der spanischen Justiz. Kaum hatte der frühere katalanische Regionalregierungschef Carles Puigdemont in Sardinien am Donnerstag das Flugzeug verlassen, wurde er auch schon festgesetzt. Grund war ein europäischer Haftbefehl des Obersten Gerichtshofs Spaniens von 2019. Doch die Verhaftung Puigdemonts ist nicht nur politisch, sondern auch juristisch brisant.
Die spanische Justiz wirft Puigdemont wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums von 2017 unter anderem Rebellion vor. Damals versuchte die spanische Polizei mit großer Härte, die Abstimmung zu unterbinden. Da fast nur Befürworter der Abspaltung abstimmten, gab es eine große Mehrheit für die Unabhängigkeit. Nachdem Puigdemont die Unabhängigkeit der Region ausgerufen und dann gleich wieder ausgesetzt hatte, wurde er abgesetzt und Katalonien wurde unter Direktverwaltung der Zentralregierung gestellt. Puigdemont und einige seiner Mitstreiter flohen ins Ausland. Die führenden Separatisten, die nicht flohen, wurden 2019 zu langjährigen Haftstrafen zwischen 9 und 13 Jahren verurteilt, im vergangenen Juni aber begnadigt.
Das Berufungsgericht in der nahe gelegenen Stadt Sassari muss nun entscheiden, ob der prominente Justizflüchtling an Spanien überstellt oder freigelassen wird. Die richterlicher Anhörung des 58-Jährigen sollte nach Informationen der italienischen Nachrichtenagentur Ansa am Freitagnachmittag stattfinden. Für Puigdemonts Anwalt Gonzalo Boye stand das Ergebnis schon zuvor fest: Sein Mandat werde bald wieder freikommen.
Ähnlich äußerte sich Puigdemonts italienischer Anwalt Agostinangelo Marras. "Er ist zuversichtlich, dass sich der Fall baldmöglichst löst und er schnell wieder in Freiheit kommt", zitierte ihn Ansa.
Juristisch Brisant
Denn die Verhaftung Puigdemonts in Italien ist nicht nur politisch, sondern auch aus juristischer Perspektive brisant. Der Katalane wehrt sich derzeit vor dem Gericht der EU dagegen, dass das Europäische Parlament im März per Mehrheitsentscheidung seine Immunität als Abgeordneter aufhob. Dabei stellte er auch einen Antrag auf die vorläufige Wiederherstellung der parlamentarischen Immunität bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichtshofs. Dieser wurde allerdings von dem zuständigen Richter abgelehnt - unter anderem mit der Begründung, dass Spanien versichert habe, dass der Haftbefehl gegen Puigdemont bis zu einer endgültigen Entscheidung des Gerichtshofs zu Auslieferungsfragen nicht vollstreckt werde.
Puigdemonts belgischer Anwalt Simon Bekaert zeigte sich dementsprechend empört. "Entweder hat Italien einen Fehler gemacht oder Spanien hat den EuGH getäuscht", kommentierte er am Freitag. Wenn Italien und Spanien die Rechtsstaatlichkeit und den EuGH achteten, müsse Puigdemont unverzüglich freigelassen werden. Das Justizministerium in Rom teilte mit, keinen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens zu haben. Nach Angaben Bekaerts wird nun zunächst versucht, in Italien rechtlich gegen die Verhaftung vorzugehen.
Zugleich bereite man allerdings schon einen weiteren Eilantrag auf Wiederherstellung der parlamentarischen Immunität beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor, sagte der Jurist der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Dieser soll dann eingereicht werden, wenn die italienischen Behörden den 2019 ins Europaparlament gewählten Puigdemont nicht schnell freilassen oder sogar eine Auslieferung an Spanien in die Wege leiten.
Der Gerichtshof habe zuletzt deutlich gemacht, dass Puigdemont bis zu einer endgültigen Klärung des Rechtsstreitigkeiten weder festgenommen noch ausgeliefert werden sollte, erklärte Bekaert. So sei ausdrücklich festgehalten worden, dass im Fall einer Festnahme erneut ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung zur Wiederherstellung der parlamentarischen Immunität gestellt werden könne.
Absichtlich verhaften lassen
Für Fulco Lanchester, einen italienischen Professor und Experten für Verfassungsrecht an der Universität La Sapienza in Rom, ist die Sache so klar, dass er davon ausgeht, Puigdemont sei das Risiko einer Verhaftung absichtlich eingegangen. "Meiner Meinung nach war das eine bewusste Aktion Puigdemonts, um auf seine Sache aufmerksam zu machen. Er ist ein kalkuliertes Risiko eingegangen, um die Öffentlichkeit zu suchen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Lanchester fügte hinzu, es sei "schwer zu glauben, dass jemand, der mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird und keine Immunität genießt, so eine Verhaftung nicht bewusst herbeigeführt hat".
Auch der Ort der Verhaftung sei sehr symbolisch: Alghero, das auch "kleines Barcelona" genannt wird, ist eine katalanische Sprachinsel auf Sardinien. Die Katalanen hatten die Gegend Ende des 14. Jahrhunderts erobert und die einheimische Bevölkerung vertrieben. Puigdemont wollte unter anderem an dem Adifolk-Festival teilnehmen, einer Veranstaltung zur Verbreitung der katalanischen Kultur. Dazu reisten auch etwa 1.000 Katalanen an, die sicher lautstark die Freiheit ihres "Präsidenten im Exil" und Unabhängigkeit für Katalonien fordern werden.
Solch öffentliche Unterstützung kann Puigdemont gut gebrauchen. Als die bestimmende Kraft im Lager der unnachgiebigen Separatisten ist er durch den Beginn des Dialogs des gemäßigteren heutigen Regionalpräsidenten Pere Aragonès mit dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez über eine Beendigung des jahrelangen Konflikts etwas ins Hintertreffen geraten.
Sánchez rief Puigdemont am Freitag auf, sich der Justiz zu stellen. Zugleich bekräftigte er seinen Willen zum Dialog. Während manche Separatisten Sánchez "Unterdrückung" Kataloniens vorwerfen und Aragonès schon mal einen "Verräter" nennen, steht Puigdemont durch die Verhaftung in Italien wieder als aufrechter Kämpfer für die katalanische Sache im Mittelpunkt.
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