Ökozid: Werden schwere Umweltvergehen bald geahndet wie Völkermord?

Indigene aus Brasilien protestieren gegen Umweltzerstörung
Erwächst aus den Treibhausgas-Emissionen von Staaten eine Pflicht zu Klimaschutzmaßnahmen oder zu Entschädigungszahlungen? Eine Antwort darauf wird heute vom IGH erwartet.

von Katharina Engeln

Aktivisten wollen schwere Umweltverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen. Ein Experte erklärt, wie realistisch das ist: Am 6. Juni 2023 explodiert der Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine. Wassermassen strömen durchs Land, reißen Häuser mit, überfluten Dörfer. Rund 150 Tonnen Öl und andere Schadstoffe verseuchen das Wasser, mit verheerenden Folgen für Tiere, Pflanzen und Lebensräume. Eine Naturkatastrophe? 

Nein, sagen ukrainische Behörden, sondern gezielte Kriegsführung gegen Mensch und Umwelt.

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Ukraine: Nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms durch russische Truppen

Doch vor Gericht landete so etwas bisher kaum. Denn noch klafft eine Lücke im internationalen Strafrecht: Massive Umweltzerstörung, sei sie Folge von Kriegen oder Konzernen, ist bisher kein eigenständiges Völkerrechtsverbrechen. Eine wachsende Bewegung will das ändern und „Ökozid“ als fünftes Kernverbrechen im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs verankern – gleichrangig mit Völkermord und Kriegsverbrechen.

Der Begriff „Ökozid“ stammt aus den 1970er-Jahren, geprägt vom Biologen Arthur Galston. Er machte damals auf die entlaubende Wirkung von Agent Orange aufmerksam, jenem Gift, das im Vietnamkrieg Verwüstungen anrichtete. 

Auch in den folgenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu verheerenden Umweltkatastrophen: 1989 lief nach dem Unfall des Öltankers „Exxon Valdez“ vor der Küste Alaskas Rohöl ins Meer und verseuchte Küsten und Ökosysteme auf Jahrzehnte. 

Und bis heute schreitet die systematische Abholzung des Amazonasregenwalds voran, mit dramatischen Folgen für das Weltklima. „Ökozid überschreitet oft naturgemäß nationale Grenzen – etwa wenn ein Chemieunfall ein gesamtes Ökosystem zerstört oder ein ganzes Flusssystem mit Schwermetallen verseucht wird“, sagt Jojo Mehta, CEO und Mitgründerin der Initiative Stop Ecocide International. Für sie ist klar: Die internationale Strafgerichtsbarkeit muss nachziehen. 

Bisher kennt das Römische Statut vier sogenannte Kernverbrechen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Für Mehta gehört massenhafte Umweltzerstörung „eindeutig in diesen Rahmen“.Ökozid im internationalen Strafrecht:

Der Weg ist lang

„Inzwischen gibt es auch in Wirtschafts- und Finanzkreisen begeisterte Befürworter eines Ökozid-Gesetzes“, sagt Mehta. Denn ein solches Gesetz könne dafür sorgen, dass sich rücksichtslose Unternehmen keine Vorteile verschaffen, weil Umweltzerstörung strafbar wäre. Nachhaltig wirtschaftende Firmen hätten dadurch bessere Chancen am Markt. Der Weg dorthin ist allerdings lang. Zwar ließe sich das Statut ändern, doch dafür braucht es die Zustimmung von zwei Dritteln der 125 Mitgliedstaaten.

„Wenn ein zusätzliches Kernverbrechen wie der Ökozid in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs überführt wird, würden dadurch Strafbarkeitslücken geschlossen, oder anders gesagt: Das Völkerstrafrecht würde erweitert“, erklärt Florian Jeßberger, Professor für Strafrecht an der Humboldt-Universität Berlin. Denn bislang erfasse es umweltschädliche Handlungen nur sehr begrenzt, „und zwar ausschließlich im Bereich der Kriegsverbrechen – und dort auch nur unter engen Voraussetzungen.“Auch Jeßberger findet, „dass dieses Thema unbedingt, auch strafrechtlich, geregelt werden muss“. 

Doch das sei juristisch höchst anspruchsvoll. „Die große Frage wäre für mich: Wie schaffen wir es, auch Angriffe auf das Klima – bewusst vage formuliert – mit den Mitteln des Völkerstrafrechts zu adressieren?“, so Jeßberger. Denn ein völkerrechtlicher Straftatbestand des Ökozids müsste sich deutlich vom nationalen Umweltstrafrecht abheben. Es dürfe nicht um allgemeine Umweltvergehen wie Gewässerverunreinigung oder illegale Müllentsorgung gehen, sondern um Taten, die „der Schwere der Straftaten entsprechen, die bereits im Römischen Statut erfasst sind“. 

Ob das in absehbarer Zeit realistisch ist, bezweifelt der Professor jedoch. Ein Problem dabei ist die sogenannte Kausalität, also die Frage, wer am Ende für Klimaveränderungen verantwortlich ist. „Strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt prinzipiell voraus, dass die Verursachung von Klimaveränderungen sich ei­nem oder mehreren konkreten Verursachern zuordnen lässt“, erklärt der Jurist. 

Doch genau das sei hier nur schwer möglich. Denn „das Klima“ sei, so Jeßberger, ohnehin „als abstraktes Gut nur schwer in die juristischen Kategorien zu fassen“.

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Trotz aller Hürden wächst der politische Druck. Vanuatu, Fidschi und Samoa haben 2024 offiziell einen Antrag eingebracht, Ökozid als fünftes Kernverbrechen ins Römische Statut aufzunehmen, inzwischen unterstützt auch die Demokratische Republik Kongo die Initiative. 

Für Mehta ist das ein wichtiges Signal: „Das Interesse in Afrika, Lateinamerika und der Karibik wächst schnell, und die EU hat mit ihrer Richtlinie zu Umweltstraftaten bereits den Kurs vorgegeben.“ 

Die 2024 beschlossene „Ökozid-Richtlinie“ verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, bis 2026 insgesamt 20 neue Straftatbestände ins nationale Recht zu übernehmen, darunter etwa die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser oder das Herstellen von gefährlichen Stoffen. „Für Deutschland eröffnet sich hier eine konkrete Chance: Beim nationalen Umsetzen der Richtlinie könnte das Land über bloße Erfüllung hinausgehen und Ökozid als eigenständiges Verbrechen etablieren“, sagt Mehta. 

Juristisch wäre das durchaus machbar, bestätigt auch Jeßberger: Auch wenn es noch keine internationale Regelung gibt, könnten nationale Gesetze bereits eine Basis schaffen.

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