Die Liste der Ungeschicklichkeiten ist lang: Faesers Vorschlag eines neuen hessischen Feiertags am 1. Dezember, um das Bundesland für Arbeitnehmer attraktiver zu machen, stieß dem Einzelhandel sauer auf: So treibe man die Hessen doch nur für Weihnachtseinkäufe in die Nachbarländer!
Auch die Entlassung ihres ehemaligen Cybersicherheitschefs wegen angeblicher Nähe zum russischen Geheimdienst im vergangenen Oktober hängt Faeser nach: Die Union sprach von fehlenden Beweisen und forderte einen Innenausschuss, vor dem sich Faeser nach zwei ignorierten Einladungen erst diese Woche verantwortete.
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Unzufrieden mit Ampel
Doch viel schwerer als der unglückliche Wahlkampf wiege bei der Wählerschaft die Unbeliebtheit der Ampel-Koalition, und das bekomme Faeser zu spüren, so der Politikwissenschafter Christian Stecker von der TU Darmstadt zum KURIER: "Die Menschen sind unzufrieden damit, wie die Koalition untereinander umgeht. Faeser ist die Leidtragende."
Zudem "orientieren sich die Menschen bei ihrer Wahlentscheidung diesmal besonders an bundespolitischen Themen." Einer Umfrage zufolge tut das die Hälfte aller Befragten, so Stecker. Es beschäftigen also weniger die Themen der Spitzenkandidatin Faeser – Bildung, Rente, Mindestlohn – sondern die der Innenministerin, allen voran Migration.
In Deutschland sind im ersten Halbjahr so viele Asylbewerber angekommen wie seit sieben Jahren nicht, vereinzelt wurden bereits Turnhallen in Notunterkünfte für Flüchtlinge verwandelt. "Wir haben immer noch Geflüchtete von 2015, die noch nicht den Schritt machen konnten auf den Wohnungsmarkt und in den Arbeitsmarkt", hielt eine Integrationsbeauftragte aus Nordrhein-Westfalen der Innenministerin am Donnerstagabend im ZDF vor. Denen, die jetzt kämen, könne man gerade "keinen Frieden bieten". Die Kommunen seien unterfinanziert, der Bund habe verschlafen.
Faeser versucht, mit einer Verstärkung des Grenzschutzes und dem von ihr mitverhandelten EU-Asylkompromiss, der etwa Asylzentren an den EU-Außengrenzen vorsieht, zu punkten. Doch die Umsetzung dauert; und restriktivere Asylregeln scheitern stets am grünen Koalitionspartner.
Rückendeckung vom Kanzler
Faeser selbst will trotz Niederlage, die ihr droht, Innenministerin bleiben. Die Unterstützung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) dürfte ihr dabei, sofern die SPD am 8. Oktober nicht in den 15-Prozent-Bereich abstürzt, sicher sein. "Man wird anerkennen, dass sie ein ,Ampel-Opfer’ ist", so Stecker. Dabei sei es einerlei, ob die SPD in Hessen zweitstärkste Kraft und möglicherweise statt den Grünen neuer Juniorpartner der CDU wird oder hinter die AfD fällt – "Letzteres wäre natürlich symbolisch, aber ein allgemeines Problem und nicht direkt auf Faeser zurückzuführen", so Stecker.
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