Hat Israels Armee Menschen in Gaza mit dem Bulldozer getötet?
Der Sender Al Jazeera sagt, israelische Soldaten hätten vor dem Kamal-Adwan-Krankenhaus im Gazastreifen Menschen mit dem Bulldozer überfahren. Im Netz kursieren Videos dazu - viele sind falsch.
Die Fläche ist verwüstet, komplett. „Unter diesen Trümmern“, sagt der Mann hinter der Kamera, „liegt der Körper eines Patienten des Kamal-Adwan-Spitals. Der Bulldozer hat ihn einfach überfahren.“ Ein Kriegsverbrechen, begangen von den israelischen Streitkräften, sagt er noch.
Das Video ist überall auf Social Media zu finden, auch Al Jazeera zeigte die Bilder. Der Vorwurf: Bei der Razzia in dem Spital, bei dem sich 70 Hamas-Anhänger den israelischen Truppen ergeben hatten, sei die Armee mit Bulldozern auf dem Hof des Krankenhauses aufgefahren und habe Zelte von Vertriebenen zerstört – während darin Menschen waren. 20 Menschen seien so lebendig begraben worden.
Vieles unklar
Ob das stimmt, lässt sich bisher schwer sagen. Al Jazeera zitiert in seinem Bericht Augenzeugen und Ärzte, die das Ganze gesehen haben sollen; auf dem Video sind – wenn auch schwer zu erkennen – offenbar Leichenteile zu sehen. Danach wird eine Katze eingeblendet, die angeblich daran nagen soll.
Israels Armee äußerte sich bisher nicht zu den Vorwürfen. Unklar ist damit nicht nur, ob tatsächlich Bulldozer dort waren; und wenn ja, ob den Fahrern bewusst war, dass dort Menschen sind. Ebenso weiß man nicht, ob – so zynisch es klingen mag – die Personen unter den Trümmern nicht schon vor dem Eintreffen der Bulldozer tot waren. Die Region wurde zuvor mehrfach bombardiert.
Fake-Videos
Der Vorfall reiht sich ein in eine lange Liste an gegenseitigen Vorwürfen, die sich Hamas und Israel seit dem Massaker vom 7. Oktober machten. Da war der Beschuss auf das Al-Ahli-Spital, bei dem laut Hamas mehr als 470 Meschen starben, der Israel zur Last gelegt wurde - und bei dem schlussendlich herauskam, dass es sich um eine fehlgeleitete Rakete der Terroristen vom Islamischen Dschihad gehandelt haben dürfte. Da war die Behauptung, die Schlächter der Hamas hätten am 7. Oktober sogar Babys enthauptet. Eine Beschuldigung, die nie gänzlich belegt werden konnte, was wiederum Zweifel an den verifizierten Gräueltaten der Terroristen nährte. Säuglinge getötet, teils sogar verbrannt haben die Hamas-Attentäter nämlich.
Im konkreten Fall kommt hinzu, dass das Bildmaterial und Zeugenberichte bisher ausschließlich von Al Jazeera gezeigt wurden, kein anderer Nachrichtensender hat dies verifiziert. Viele andere Videos, die man im Netz dazu sieht, sind außerdem Fälschungen. Eine stark verbreitete Aufnahme, die angeblich die Bulldozer in voller Fahrt zeigt, stammt aus dem Jahr 2013, als Ägyptens jetziger Präsident Abdel Fatah Al-Sisi seine Machtübernahme blutig durchsetze. Mindestens 800 Menschen starben beim als „Rabaa-Massaker“ bekannten Blutbad in Kairo.
Dazu kommt, dass Al Jazeera Israel eine besondere Feindschaft verbindet. Dem Sender haftet schon lange der Ruf an, antisemitisch und anti-amerikanisch zu sein. Massive Kritik wurde etwa laut, als nach den Anschlägen von 9/11 berichtet wurde, jüdische Angestellte in den Twin Towers seien vorab von den Anschlägen informiert worden. Eine jüdische Mitverantwortung wurde damit impliziert.
Im Nahost-Konflikt hat sich der Sender, der in Katar stationiert ist – jenem diktatorisch geführten Emirat, das die Hamas unterstützt und deren Führung beherbergt – stets recht eindeutig auf Seiten der Palästinenser positioniert. Teils werden in der Berichterstattung auch die Begrifflichkeiten der Hamas verwendet. Das Massaker vom 7. Oktober nannte man etwa „Al-Aqsa-Flut“, und durch Israelis getötete Palästinenser wurden teils als „Märtyrer“ bezeichnet.
Israel hat deshalb sogar überlegt, Al Jazeeras Büro in Tel Aviv sperren zu lassen. Davon hat man allerdings schlussendlich abgesehen: Man hatte Angst, die über Katar laufenden Geisel-Verhandlungen zu beeinträchtigen.
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