Nach-Brexit-Verhandlungen: Johnson nimmt Grenzkontrollen in Kauf

Boris Johnson, im Hintergrund EU-Chefverhandler Michel Barnier
Der britische Premier soll lockerere Handelsbeziehungen zur EU prüfen. Vorbild könnten Vereinbarungen mit Australien sein.

Die britische Regierung schließt einem Insider zufolge nicht aus, künftig relativ lockere Handelsbeziehungen zur EU zu unterhalten. Premierminister Boris Johnson prüfe die Option eines Handelsabkommens nach dem Vorbild der Vereinbarungen zwischen der EU und Australien, sagte ein Regierungsvertreter am Samstag.

"Es gibt nur zwei voraussichtliche Verhandlungsergebnisse - ein Freihandelsabkommen wie mit Kanada oder eine lockerere Vereinbarung wie mit Australien - und wir gehen beiden gerne nach", sagte der Regierungsvertreter. Mit Australien führt die EU seit 2018 Gespräche über ein Freihandelsabkommen, sie sind noch nicht abgeschlossen.

Rede am Montag

Johnson soll am Montag eine Rede zum Thema Handel halten, nachdem die Briten in der Nacht zum Samstag nach 47 Jahren aus der EU ausgeschieden sind. Bisher hat er signalisiert, ein Abkommen nach dem Kanada-Modell zu bevorzugen.

Johnson will Großbritannien von der Bindung an EU-Regeln freimachen. Dafür nehme er auch Grenzkontrollen in Kauf, zitierten britische Medien nicht näher genannte Regierungsquellen.

Der Premier wolle die Karten auf den Tisch legen und in Brüssel ein Freihandelsabkommen nach dem Kanada-Modell vorschlagen, meldete die Nachrichtenagentur PA. Der Vertrag zwischen der EU und Kanada enthält viele Handels- und Zollerleichterungen. Im Gegenzug wolle Johnson die EU-Standards beim Umweltschutz, bei Arbeitnehmerrechten und Lebensmittelhygiene nicht lockern.

Barnier spricht ebenfalls über Verhandlungsziele

Auch der EU-Chefunterhändler Michel Barnier wird am Montag vorstellen, was er in den Gesprächen mit London erreichen will. Sein genaues Mandat bestimmen jedoch die 27 bleibenden EU-Staaten.

Nach dem Ausscheiden aus der EU in der Nacht zum Samstag ist Großbritannien in eine Übergangsphase eingetreten, in der fast alles wie vor dem Brexit bleibt. Bis Ende des Jahres wollen sich beide Seiten auf Regeln für die künftigen Beziehungen einigen. Gelingt das nicht, droht wieder ein harter Bruch. Kritiker halten die Übergangsphase angesichts der komplexen Themen für zu kurz. Eine Verlängerung ist zwar möglich, wird aber von Johnson strikt abgelehnt. Die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada über ein Freihandelsabkommen hatten mehrere Jahre gedauert.

Regierungsumbildung als "Valentinstag-Massaker"

In Großbritannien wird eine angekündigte Kabinettsumbildung mit Spannung erwartet. Die britischen Zeitungen sprechen bereits von einem "Valentinstag-Massaker". Welche Politiker künftig am Kabinettstisch und in den Beratergremien sitzen, wird den Regierungskurs und damit auch die Brexit-Verhandlungen entscheidend beeinflussen. Form und Zuschnitt des künftigen Kabinetts sind allerdings noch nicht beschlossen.

"Johnson will eine schlanke und effektive Regierung", sagt der Ökonom Iain Begg von der London School of Economics (LSE). Sicher ist, dass das Brexit-Ministerium wegfallen wird.

Hinzukommen könnte Begg zufolge hingegen eine Art "Nordengland"-Ministerium, das sich um die Landstriche kümmert, die Johnson bei der Wahl Mitte Dezember seine komfortable Regierungsmehrheit bescherten.

Auch in den unteren Ebenen der Ministerien sind Umwälzungen wahrscheinlich. Johnson hat einen schlechten Stand bei den Ministerialbeamten, denen er wiederholt vorgeworfen hatte, den Brexit zu torpedieren. Sein wichtigster Berater Dominic Cummings hatte Anfang Jänner in einem Blogbeitrag "Weirdos and Misfits" ("Verrückte und Außenseiter") aufgerufen, sich für Regierungsjobs zu bewerben. Sie sollen die Regierung kreativer und effizienter machen.

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