Mit Hoodie und kurzer Hose im US-Senat: Aufregung im Kapitol

Am US-Senator John Fetterman kristallisiert sich der Streit
John Fetterman fiele auch auf, wenn er in der klassischen Pinguin-Uniform des vorwiegend männlichen US-Senats in Washington seinen Dienst am Volk versähe: schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte in Volkstrauertag-Farben.
Mit seinen 2,06 Meter und massig verteilten Pfunden überragt der tätowierte Glatzkopf mit Ziegenbart das Gros seiner 99 KollegInnen im Oberhaus des Parlaments in Washington um Längen. Aber der Demokrat Fetterman, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, treibt seit Jahren seinen Wiedererkennungsfaktor anderweitig auf die Spitze.
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Schon als Bürgermeister von Braddock, wo der 53-Jährige 13 lange Jahre mit mäßigem Erfolg Strukturwandel versuchte, und später als Vize-Ministerpräsident (Lieutenant Governor) des Bundesstaates Pennsylvania war der Hang zu unkonventioneller Dienstkleidung sein Markenzeichen: Hoodie und Schlabber-Shorts; auch in kühleren Jahreszeiten. In seiner Heimat war das Jacke wie Hose. Die Menschen dort legen Wert auf das, was einer sagt und tut, weniger darauf, wie man dabei aussieht. Das ist in Washington anders.
In der Hauptstadt werden Verstöße gegen Dresscodes umgehend geahndet. Fetterman blieb davon ein bisschen verschont, weil er im Frühjahr etwas tat, was ungewöhnlich ist im politischen Fleischwolf Washingtons.
Nach Depression ins Militär-Krankenhaus
Er bekannte sich nach überstandenem Schlaganfall und holprig verlaufener Reha zu einer klinischen Depression und begab sich mehrere Wochen lang in die Obhut guter Ärzte im Militär-Krankenhaus Walter Reed, wo sich auch die US-Präsidenten regelmäßig den Puls fühlen lassen.
Nach der Genesung kehrte Fetterman, dem ein staubtrockener Humor zu eigen ist, so zurück wie man ihn kannte: im legeren Kapuzenpulli, mit nackten Beinen und Turnhosen; nicht immer, aber oft.

Neben der Hoodies sind kurze Hosen ein weiteres Markenzeichen von Fetterman.
Die im US-Senat seit mehr als 230 Jahren existierende Kleiderordnung, die Männern Sakko und Krawatte vorgibt, umschiffte der für knorrigen Klartext bekannte Politiker, indem er bei Abstimmungen mit einem Fuß in der Garderobe blieb und von dort aus mit dem klassischen Daumen-hoch- oder -Daumen-runter-Zeichen Zustimmung oder Ablehnung signalisierte.
Kleiderzwang soll offiziell aufgehoben werden
Wie gesagt, alles kein Ding eigentlich. Wenn nicht der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, gerade verfügt hätte, dass der Kleiderzwang offiziell aufgehoben wird und jede bzw. jede nach seiner bzw. ihrer Façon kleidungstechnisch selig werden soll.
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Die oppositionellen Republikaner, denen nur zwei Stimmen zur Mehrheit fehlen, sehen in der Reform nicht weniger als den Untergang des Abendlandes. 43 von ihnen haben nun einen Brandbrief unterschrieben. Darin heißt es salbungsvoll: „Die Welt beobachtet uns in dieser Kammer, und wir müssen die Heiligkeit dieses Ortes unter allen Umständen beschützen. Zwanglose Kleidung im Senat zu erlauben, versagt der Institution, der wir dienen, und den amerikanischen Familien, die wir repräsentieren, den Respekt.” Angeführt von Rick Scott, Senator aus Florida, verlangen die Konservativen daher die unverzügliche Rücknahme des Beschlusses. Auch einige ältere Demokraten sehen einen „Dammbruch” und wollen der Individualisierung Grenzen setzen.
Auch Obama wurde kritisiert
Mit beinahe religiösem Furor argumentieren zudem Kommentatoren in rechtslastigen Medien, dass Letterman symbolhaft für die von den Demokraten beschleunigte Erosion fundamentaler Werte stehe, ohne die Amerika dem Untergang geweiht sei. Ähnlich äußerten sich jene Autoren, als Barack Obama es vor 15 Jahren wagte, am Wochenende in Freizeithose und grauem Pullover zu einem Termin mit seinen obersten Wirtschaftsberatern im Weißen Haus zu erscheinen.
Fetterman erträgt die Attacken mit beißendem Humor. In Anspielung an die bei verbotenem Vaping-Rauchen und Petting während einer Musical-Veranstaltung für Kinder erwischte republikanische Abgeordnete Lauren Boebert sagte er: „Ich denke, wenn ich das täte, würden sie mich zum Volkshelden machen.”
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