Merz schlägt 140-Mrd-Kredit für Ukraine aus Russland-Vermögen vor

Deutschlands Kanzler Friedrich Merz will Kiew durch eine erweiterte Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens in der EU sehr viel mehr Geld zur Verfügung stellen als bisher.
"Nach meiner Überzeugung sollte nun eine Lösung entwickelt werden, wie wir – ohne in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen – der Ukraine einen zinslosen Kredit in Höhe von insgesamt fast 140 Milliarden Euro zur Verfügung stellen können", schrieb Merz in einem Gastbeitrag der Financial Times.
"Dieser Kredit würde erst dann zurückgezahlt, wenn Russland die Ukraine für die verursachten Schäden entschädigt hat", so Merz. Bis dahin sollten die russischen Vermögenswerte eingefroren bleiben. Der informelle EU-Gipfel kommende Woche in Kopenhagen soll über den Vorschlag beraten. Dort dürfte der Vorstoß das zentrale Thema werden, hieß es in deutschen Regierungskreisen.
Merz bezieht sich auf neuen Vorschlag der EU-Kommission
Merz bezieht sich auf einen neuen Vorschlag der EU-Kommission, wie man das in Belgien liegende, eingefrorene Geld der russischen Zentralbank für die Ukraine nutzen kann. Bisher wird nur aus den Erträgen ein Kredit an die Ukraine finanziert. Am Vormittag hatte es in der deutschen Bundesregierung noch geheißen, man sei offen für die Ideen der EU-Kommission, ohne dass aber eine Entscheidung getroffen worden sei.
Nun geht der deutsche Kanzler einen Schritt weiter. Zugleich betont er: "Deutschland war und ist in der Frage der Beschlagnahmung der in Europa eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank aus gutem Grund zurückhaltend." Dabei seien nicht nur völkerrechtliche Fragen zu berücksichtigen, sondern auch grundlegende Fragen zur Rolle des Euro als globale Reservewährung. "Das darf uns jedoch nicht zurückhalten: Wir müssen überlegen, wie wir diese Gelder unter Umgehung dieser Probleme für die Verteidigung der Ukraine verfügbar machen können", schrieb Merz.
Man sei in der Unterstützung der Ukraine in den vergangenen Jahren immer auf Sicht gefahren. "Jetzt trete ich dafür ein, Finanzmittel in einem Umfang zu mobilisieren, der die militärische Durchhaltefähigkeit der Ukraine auf mehrere Jahre absichert", betonte der Kanzler.
Rückzug der USA löst neue Debatte aus
Hintergrund der nun erneut ausbrechenden Debatte über das russische Geld ist vor allem, dass die USA sich unter Präsident Donald Trump aus der Unterstützung der Ukraine zurückgezogen haben. Gleichzeitig wird in EU-Kreisen aber damit gerechnet, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland und bei der nötigen Aufrüstung der Armee auch nach einem Waffenstillstand etwa 70 Milliarden Euro pro Jahr benötigt. Große EU-Staaten wie Frankreich oder Italien haben aber kaum finanzielle Spielräume in ihren nationalen Etats, so viel Geld kann auch nicht aus dem EU-Haushalt aufgebracht werden.
In Berlin ist deshalb die Sorge gewachsen, dass Deutschland einen Großteil der Lasten übernehmen müsste. Deutschland ist mittlerweile größter Unterstützer der Ukraine geworden. Nun hat die EU-Kommission ein kompliziertes Verfahren vorgeschlagen, wie der Ukraine mehr Geld zur Verfügung gestellt werden kann, ohne dass dies aber einer Enteignung gleichkommt und ohne dass dies auf die Defizitquoten der EU-Länder angerechnet wird.
"Eine derart umfangreiche Hilfe erfordert Haushaltsgarantien der Mitgliedstaaten", schrieb Merz in seinem Gastbeitrag. "Diese bilateralen Garantien sollten, sobald der nächste mehrjährige Finanzrahmen 2028 in Kraft tritt, durch Sicherheiten aus dem langfristigen Haushalt der EU ersetzt werden." Das Risiko läge dann auf der EU-Ebene, falls die Ukraine in der Zukunft den Kredit nicht zurückzahlen kann oder Russland keine Reparationen leistet. Der Vorschlag sei "der beste unter vielen schlechten Wegen", sagte ein EU-Diplomat zu Reuters.
Ob sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche auf eine solche Lösung einigen, ist unklar. Offen ist zudem, wofür die Ukraine dieses Geld verwenden dürfte - ob nur für militärische Ausgaben oder aber auch für zivile Zwecke.
"Unmissverständliches Signal an Russland"
Merz betonte, dass sich nichts an der Unterstützung für die Ukraine ändern werde. "Wir werden der Ukraine so lange in ihrem Verteidigungskampf beistehen, wie es erforderlich ist. So haben wir Europäer es beschlossen", schrieb er. Russland, das die Ukraine 2022 überfallen hatte und rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt hält, sei nicht zu Schritten Richtung Frieden bereit. "Ich bin der Überzeugung, dass es nun an der Zeit ist, dieses politische Versprechen mit einem Instrument zu unterlegen, das ein unmissverständliches Signal der Widerstandsfähigkeit nach Moskau sendet."
Die Europäer hätten "mächtige Mittel" in der Hand, um dieser Bedrohung Einhalt zu gebieten. "Die Zeit ist gekommen, diese Mittel zu nutzen, damit wir unser sicheres, freies und einiges Europa verteidigen."
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