Gemeinsam mit Brüssel
Seither reitet sie keine verbalen Attacken mehr gegen Brüssel, kündigte ihren stillschweigenden Pakt mit Ungarns Premier Orbán und zieht widerspruchslos mit bei allen EU-Sanktionen gegen Russland und Hilfen für die Ukraine.
Und auch in Italien selbst gelang ihr ein kleines Wunder: Sie setzte sich gegen die lautstarken Rabauken in ihrer Regierung durch: Matteo Salvinis rechte Lega und die Forza des kürzlich verstorbenen Silvio Berlusconi spielen in ihrer Koalition nur die zweite Geige. Die Tonlage gibt Giorgia Meloni an.
Die Chefin einer Rechtspartei mit Wurzeln im Faschismus – hat sie sich plötzlich zur Säulenheiligen einer vom Populismus zum Pragmatismus gewandelten Politikerin entwickelt?
„Die frühere Meloni kommt jetzt gar nicht mehr zum Vorschein“, gesteht ihr auch Julia Unterberger, Senatorin der Südtiroler Volkspartei (SVP), zu: „Sie macht es nicht schlecht. Sie hat außenpolitisch eine Riesen-Kehrtwende vollzogen und ist plötzlich eine überzeugte Europäerin“, so Unterberger gegenüber der Südtiroler Tageszeitung.
Europa aus der Sicht der rechtsextremen Oppositionspolitikerin Meloni – das war ein geldverschlingender Moloch, der den massenhaften Zustrom von Migranten nach Italien nicht verhindert hat.
Größter Geldgeber
Doch das Europa aus der Sicht der Regierungschefin ist unverzichtbar: Als Geldgeber – mit knapp 200 Milliarden Euro erhält Italien mehr Mittel als jedes andere EU-Land aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Als eine Gemeinschaft, die Italien Zigtausende Asylsuchende abnehmen soll. Und als eine Front gegen die nicht nachlassenden Migranten- und Flüchtlingszahlen.
Mehr als 55.000 Menschen sind heuer bereits an den nordafrikanischen Küsten in Boote gestiegen und nach lebensgefährlicher Überfahrt in Italien gelandet. Das setzt Meloni politisch zu. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres, also unter der Expertenregierung ihres Vorgängers Mario Draghi, waren die Zahlen nur halb so hoch.Rasche Reaktion tat not. Doch anders als zu erwarten gewesen wäre, ging Meloni nicht auf Konfrontation, antwortete nicht mit Seeblockaden – Italiens Küstenwache rettet weiterhin Menschen.
Stattdessen setzte die rechte Regierungschefin auf realpolitische Vorwärtsstrategie. Sie reiste mehrmals nach Tunesien, von dessen Küsten derzeit die meisten Migrantenboote starten. Und sie holte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit dem Ziel an Bord, eine gemeinsame, europäische Lösung mit Tunis zu finden.
Das nordafrikanische Land soll eine Milliarde Euro an Wirtschaftshilfen erhalten – dafür aber Migranten davon abhalten, nach Europa zu kommen. Mehr noch: Die selbstbewusste Premierministerin will beim Thema Migration in Europa eine führende Rolle einnehmen. Dass sie sich dabei auf die EU verlässt, liegt an Giorgia Melonis Verständnis von Europa.
Die EU sieht sie – wie alle Rechtspopulisten – weniger als Werte- denn als Interessensgemeinschaft. Und die Macht Europas für die Interessen Italiens zu nutzen, hat die nur 1,50 Meter große Regierungschefin mit der durchdringend tiefen Stimme schnell erkannt.
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