Wahrheitsministerium in Frankreich? Macron weist Vorwürfe zurück
Zusammenfassung
- Macron weist Vorwürfe zurück, ein 'Wahrheitsministerium' zu planen, und betont stattdessen die Idee einer medieneigenen Selbstkontrolle gegen Desinformation.
- Konservative und rechte Medien werfen Macron dennoch Zensurabsichten vor, obwohl die Regierung ein staatliches Medienlabel ausdrücklich ausschließt.
- Bereits existierende Initiativen wie die 'Journalism Trust Initiative' und geplante Maßnahmen gegen Fake News und für Jugendschutz sorgen weiterhin für kontroverse Debatten.
Koks im Nachtzug, der Kauf eines James-Bond-Autos und Zweifel am Geschlecht seiner Ehefrau: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat mit vielfach verbreiteten Falschnachrichten über sich und seine Familie Erfahrung. Seinen Kampf dagegen hat er schon vor Jahren begonnen, doch in der vergangenen Woche hat sich das Thema zugespitzt. Derzeit kursiert eine Petition der konservativen Republikaner, die Macron vorwirft, sich als "Oberzensor" aufzuspielen.
Demnach soll er auch Medien in gute und schlechte Publikationen einzustufen. "Das ist ein Skandal, weil der Präsident dazu kein Mandat hat", heißt es in dem Aufruf, den innerhalb von zwei Tagen 40.000 Menschen unterzeichnet haben. Tatsächlich hatte Macron gar nicht davon gesprochen, staatliche Glaubwürdigkeitsbescheinigungen an Medien verteilen zu wollen. Er hatte vielmehr in mehreren Gesprächsrunden mit Leserinnen und Lesern von Regionalzeitungen eine Idee aufgegriffen, die er seit 2018 verfolgt, nämlich eine Art Selbstkontrolle der Medien, um Fake News einzudämmen.
"Wir bemühen uns, ein Label auf den Weg zu bringen", hatte Macron gesagt. Dabei sei es wichtig, "dass dies Experten übernehmen", fügte er hinzu. Ziel sei es, Websites zu unterscheiden, die mit personalisierter Werbung Geld machen und solche, die Informationen verbreiten. Dabei könne es nicht die Regierung sein, die dies überprüfe. "Sonst wäre es eine Diktatur", betonte Macron im Gespräch mit den Zeitungsleserinnen und -lesern.
Desinformation gegen Kampf gegen Desinformation eingesetzt
Diese Einschränkung fiel in den Medien, die zur Gruppe des Rechtsaußen-Milliardärs Vincent Bolloré gehören, schnell unter den Tisch. Genau das, was Macron ausschließen wollte, wurde ihm nun zum Vorwurf gemacht. "Auf dem Weg zur Informationskontrolle" titelte die Zeitung Le Journal du Dimanche am vergangenen Sonntag. "Wie der Präsident die Medien auf Linie bringen will", so der Untertitel.
Macron träume von einer französischen "Prawda" oder auch von einem "Ministerium der Wahrheit", war in dem Blatt zu lesen - und seitdem aus dem Mund zahlreicher rechtspopulistischer Politiker zu hören. In dem zukunftspessimistischen Roman "1984" von George Orwell ist das "Ministerium der Wahrheit" dafür zuständig, alle Texte immer so umzuschreiben, dass sie zur Parteilinie passen. Die ursprünglichen Versionen werden vernichtet.
Der Elysée sah sich zu einem Dementi genötigt und veröffentlichte einen Zusammenschnitt der gröbsten Vorwürfe - gefolgt von Auszügen aus Macrons Debatte, die den Anlass dazu geliefert hatte. "Wenn ein Gespräch über Desinformation zu Desinformationen führt", lautete die Überschrift. Die Regierung plane "kein Label für die Medien" und "erst recht kein Wahrheitsministerium", bekräftigte Regierungssprecherin Maud Bregeon am Dienstag.
Umstrittene Zertifikate
Tatsächlich existiert eine Art Label für vertrauenswürdige Medien bereits seit 2021. Die "Journalism Trust Initiative", an der die Organisation Reporter ohne Grenzen, die Nachrichtenagentur AFP, der britische Sender BBC und zahlreiche weitere Medien beteiligt sind, hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitsweise von Medien zu beurteilen. Dabei geht es nicht um Inhalte, sondern um Transparenz und ethisch vertretbare Methoden.
Aber auch unter Medienschaffenden sind solche Regulierungsversuche umstritten. Eine "nur scheinbar gute Idee", meint etwa die französische Journalistengewerkschaft SNJ. Der Philosoph Pierre-Henri Tavoillot äußert sich ebenfalls skeptisch: "Am Ende bleibt die Frage: Wer beaufsichtigt die Aufseher?", schrieb er in der Zeitung Le Figaro.
Macron treibt die Frage nach einem Umgang mit Falschinformationen schon lange um - und die Idee einer Selbstregulierung der Medien ist nur eine von vielen. Demnächst will er ein neues juristisches Eilverfahren auf den Weg bringen, um Fake News im Internet schneller bekämpfen zu können.
Und auch die Jugend hat er im Blick: Frankreich will sich im kommenden Jahr an einem europäischen Pilotvorhaben beteiligen, um die Altersgrenze für die Nutzung sozialer Medien besser zu kontrollieren. Und das Mobiltelefonverbot an Schulen - auch außerhalb des Unterrichts - soll bis zur Oberstufe ausgeweitet werden. Das Thema wird in Frankreich voraussichtlich noch häufig für heftige Debatten sorgen.
Von Francesco Fontemaggio und Ulrike Koltermann/AFP
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