Nach EU-Skandal um Kaili: Was Korruption von Lobbyismus unterscheidet

Beim Lobbyismus gibt es viele Graubereiche
Nach dem EU-Parlamentsskandal: Wo die Grauzonen liegen und warum NGOs neuerdings die besseren Lobbyisten sind.

"Das war Korruption, kein Lobbyismus“, weist Daniel Guéguen jede Parallele zwischen dem jüngsten Bestechungsskandal im EU-Parlament und seiner Berufsgruppe zurück. Der mittlerweile 74-jährige Franzose lobbyiert seit Jahrzehnten in Brüssel, der Autor gilt als einer der Renommiertesten seiner Branche.

Deren Image ist freilich verheerend. Auf der Rückseite von Guéguens jüngstem Buch findet sich das Zitat: „Sagen Sie meiner Mutter nicht, dass ich Lobbyist bin. Sie glaubt, ich sei Anwalt.“

KURIER: Das Image von Lobbyisten ist fast so schlecht wie das der Mafia. Wie können Sie sich das erklären?

Daniel Guéguen: Dafür sind wir selbst verantwortlich. Es gibt für Lobbyisten keinen geregelten Berufszugang, keine Beschränkungen und auch keine klar geregelte Praktik der Lobbyarbeit. Die Profession ist an sich sehr diskret, aber wir haben unsere Arbeit nie erklärt. Deshalb habe ich am Ende meiner Karriere ein Buch verfasst und geschrieben, was wir tun und warum.

Genau, niemand weiß, was Lobbyisten wirklich tun...

Ja, man denkt, wir korrumpieren Leute. Aber Lobbyismus ist ein integraler Teil des Gesetzgebungsverfahrens in Brüssel. Es gibt Beratungen, Konsultationen; da sind Lobbyisten als Vertreter einer bestimmten Interessensgruppe – sei es die Agrarwirtschaft oder Konsumentenschützer – dabei. Man stellt sich offiziell als Lobbyist vor, und versucht dann, zu überzeugen. Mit Argumenten, mit Expertise, Dokumenten, Studien. Wenn das nicht geht, versuche ich an den Machtverhältnissen etwas zu ändern – etwa mit öffentlicher Meinung, Zusammenarbeit mit den Medien, Kampagnen. Aber nicht mit Korruption.

Nach EU-Skandal um Kaili: Was Korruption von Lobbyismus unterscheidet

Lobbyist aus Überzeugung, der Franzose Daniel Gueguen, und vielfacher Buchautor

Sie bezeichnen die Interessensgruppen der Zivilgesellschaft, die NGOs als die besseren Lobbyisten. Wie das?

Sie sind viel besser organisiert, kooperieren untereinander, maximieren ihre Kapazitäten und sie sind Meister der sozialen Netzwerke. Daher haben sie neuerdings viel mehr Einfluss als die klassischen Lobbyisten für Handelsorganisationen.

Hätte der jüngste Skandal im EU-Parlament verhindert werden können?

Das war kein Lobbyismus, das war Korruption.

Aber bei Lobbyisten ist auch nicht alles transparent ...

Natürlich nicht. Manche Gesprächsinhalte müssen streng vertraulich bleiben, sonst würde ich meine Glaubwürdigkeit verlieren. Das sind die beiden wichtigsten Werkzeuge eines Lobbyisten: Glaubwürdigkeit und das eigene Netzwerk. Die Lobbyisten sind eine kuriose Spezies – eine Mischung aus Diplomat und Krieger.

Was ist der Krieger-Teil?

Wenn man die EU-Kommission nicht mit Argumenten überzeugen kann, dann muss man kämpfen. Das ist ein Teil des Geschäfts. Lobbyismus ist Action.

Wann ist der ideale Zeitpunkt, um beim Werden eines Gesetzes Einfluss zu bekommen?

Gestern. Das sage ich jedem Kunden. 95 aller Industrie-Lobbyisten sind zu spät dran. Je früher man sich positioniert, desto mehr Einfluss hat man. Man muss möglichst früh wissen: Was ist das Dossier? Wer arbeitet daran? Man braucht also ein gutes Beobachtungssystem. Das heißt: Leute treffen, mit ihnen reden, Vertrauen aufbauen, sich als Problemlöser anbieten.

Nach EU-Skandal um Kaili: Was Korruption von Lobbyismus unterscheidet

Die griechische Ex-EU-Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili unter Korruptionsverdacht. Sie ist in U-Haft.

Tabak-, Öl-, Chemie-Industrie: Man wirft ja Lobbyisten auch vor, fast so etwas wie „Söldner“ zu sein...

In meiner Arbeit muss ich alle überzeugen, von den extrem linken bis zu den extrem rechten Parteien. Ich gehöre keiner Ideologie und keiner Partei an. Idealerweise sollte ich die Position meines Kunden teilen. Aber gegen meine persönliche Vision von Dingen agiere ich sowieso nicht.

Wo endet Lobbyismus und wo beginnt Korruption?

Es gibt eine Grauzone. Wir haben keine klare Regulierung, was explizit erlaubt ist und was nicht. Wenn wir etwa hohe EU-Beamte mehrmals in sehr teure Restaurants einladen würden, wäre das nicht Korruption, aber schon sehr nahe dran. Ich lade nie Personen zum Essen ins Restaurant ein. Und habe auch eine Mauer zwischen meinem Berufs- und meinem Privatleben aufgezogen. Ich hatte nie private Kontakte mit EU-Beamten, ich war nie mit ihnen golfen.

Nach dem Bestechungsskandal, in dem auch der frühere EU-ÖVP-Abgeordnete Ernst Strasser verwickelt war, hat die EU vor zehn Jahren ein Transparenzregister eingeführt ....

Ich halte dieses Register, wo an die 13.000 Strukturen angemeldet sind, noch immer für unzureichend. Denn wer da nicht drinnen steht, sind die Anwälte. Und die sind meine Konkurrenten, müssen sich aber nicht registrieren.

Was ist mit all den Freundschafsgruppen im EU-Parlament?

Das gehört auch zu den Grauzonen, die nicht klar geregelt sind.

Wer sind aus Ihrer Sicht die „schlimmsten“ Lobbygruppen in Brüssel?

Die Lobbyisten für 1. den Nuklear- , 2. den Fleisch- und 3. den Chemiesektor. Warum sind sie schlimm? Sie lösen keine Probleme, sie machen sie. Wenn man etwa für Glyphosat – ein Pestizid – lobbyiert, geht es nicht darum, zu sagen: Glyphosat ist eh sicher. Nein, man muss erklären: Was ergeben die Studien, wie sieht es in der Zukunft aus? Man muss pädagogisch vorgehen. Dasselbe gilt für Atomlobbyisten.

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