May verschiebt Brexit-Abstimmung und will nachverhandeln
Die für Dienstagabend geplante Abstimmung im Unterhaus über das Brexit-Abkommen mit der EU wird verschoben. Das kündigte die britische Premierministerin Theresa May gerade eben im britischen Parlament an. In den vergangenen Tagen zeichnete sich immer deutlicher eine Niederlage für die Regierung ab.
Gegen Mittag hatte sich May bereits in einer Telefonkonferenz mit ihrem Kabinett abgesprochen. Um 16:30 Uhr gab May eine Stellungnahme im britischen Unterhaus ab: "Das Abkommen wäre mit einer beträchtlichen Mehrheit abgelehnt worden", erklärte May vor den Parlamentariern zur Begründung der Verschiebung.
Nachverhandlungen wegen Nordirland
Grund für den Schritt sei der sich abzeichnende Widerstand im Parlament gegen den sogenannten Backstop im Brexit-Abkommen, sagte May. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. May stellte fest, dass sie in den vergangenen Tagen genau zugehört hätte, was im Unterhaus besprochen wurde - daraufhin folgte hämisches Gelächter vor allem von Seiten der Opposition.
May will nun vor dem EU-Gipfel Ende der Woche mit ihren Amtskollegen aus der EU und den Spitzen von EU-Kommission und Europäischem Rat die "klaren Bedenken" des Parlaments diskutieren. Von EU-Seite hatte es am Montag jedoch die klare Ansage gegeben, dass es keine Nachverhandlungen des Abkommens geben wird.
Ein erfolgreicher Brexit erfordere Kompromisse auf allen Seiten, sagte May im Parlament. Weder die Anhänger eines zweiten Referendums noch die Befürworter eines Verbleibens im Binnenmarkt, noch die Befürworter eines ungeordneten Brexits hätten eine Mehrheit. Angesichts der Lage beschleunige die Regierung die Vorbereitungen für einen harten Brexit.
Livestream: Die Debatte im Unterhaus
Am Wochenende hatte die britische Regierung allerdings noch vehement betont, dass die Abstimmung im Parlament am Dienstag wie geplant stattfinden werde. Jetzt ist alles anders. Etwa 100 Abgeordnete aus Mays Konservativer Partei hatten angekündigt, das vorliegende Brexit-Abkommen nicht zu unterstützen. Vielen von ihnen fürchten eine zu starke Bindung an die EU. Auch die nordirische DUP, auf deren Stimmen May angewiesen ist, kündigte Widerstand ab. Sie lehnt Sonderregelungen für Nordirland ab.
Die wachsende Unsicherheit über den Ausgang des Brexit hat auch Spuren an der Börse hinterlassen. Das britische Pfund ist auf den tiefsten Stand seit 2017 gefallen.
Sturgeon attestiert May "erbärmliche Feigheit"
Die schottische Regierungschefin hat vernichtende Worte für May übrig. Eine Verschiebung der Abstimmung wäre eine "erbärmliche Feigheit" von Seiten der britischen Premierministerin, twitterte am frühen Nachmittag Nicola Sturgeon. Sie ließ außerdem wissen, dass sie mit ihrer Partei SNP für ein Misstrauensvotum gegen die britische Regierung bereitstehe. Die Abgeordneten ihrer Partei im Unterhaus würden einen Antrag der Labour Party unterstützen, der Regierung das Misstrauen auszusprechen, kündigt sie an.
Potenzielle Nachfolger positionieren sich
Mays Posten als Premierministerin wackelt mehr denn je. Britischen Medien zufolge stehen mehrere Politiker als mögliche Nachfolger in der Startposition, darunter Innenminister Sajid Javid und Ex-Außenminister Boris Johnson, einer der größten Widersacher Mays.
Neben Nachverhandlungen mit Brüssel wird in Großbritannien auch über ein zweites Brexit-Referendum spekuliert. Beim ersten Referendum 2016 hatte sich nur eine knappe Mehrheit der Briten für die Löslösung von der Europäischen Union ausgesprochen.
Denkbar ist auch ein Rückzieher vom Brexit. Die Schwelle dafür ist niedriger als gedacht, wie aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg hervorgeht. Großbritannien könnte demnach den Brexit einseitig und ohne Zustimmung anderer EU-Länder stoppen.
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