Russische Truppen kreisen Kiew weiter ein, AKW besetzt

Russische Truppen kreisen Kiew weiter ein, AKW besetzt
Nach russischem Beschuss brach in der Nacht ein Feuer im Akw aus, dieses wurde mittlerweile gelöscht. Inzwischen kreisen russische Truppen Kiew weiter ein.

Tag 9 des Krieges in der Ukraine begann mit einer Schreckensmeldung: Im größten Atomkraftwerk Europas, im Akw Saporischschja, ist es in der Nacht auf Freitag durch russischen Beschuss zu einem Brand gekommen. Die ukrainische Staatssicherheit und die Akw-Leitung berichteten von einem Feuer in einem fünfstöckigen Trainingskomplex. Die Strahlungssicherheit des Kernkraftwerks sei gewährleistet, berichtet der ukrainische TV-Sender Ukraine 24 unter Berufung auf den Direktor der Anlage. 44 Rettungskräfte seien im Einsatz gewesen, zwei Sicherheitskräfte dürften verletzt worden sein.

Das Feuer wurde laut Behörden am Vormittag gelöscht. Das Kernkraftwerk soll sich nach Angaben einer regionalen Behörde jetzt in russischer Hand befinden. Das Betriebspersonal überwache aber weiterhin den Zustand der Kraftwerksblöcke und stelle den Betrieb sicher, heißt es. 

Derweil kreisen russische Truppen die Hauptstadt Kiew weiter ein, in Mykolajiw seien sie schon vorgedrungen. Mariupol ist komplett eingeschlossen, aber unter Kontrolle ukrainischer Streitkräfte. Diese sollen sich aber vom strategisch wichtigen Flugplatz Hostomel zurückgezogen haben. 

 

 

IAEA-Chef Grossi präsentiert die Einigung

IAEA-Chef Grossi will selbst in die Ukraine fahren.

Selenskij wirft Russland "Nuklear-Terror" vor

Die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erklärte, nach Angaben der ukrainischen Nuklearaufsicht sei in der Umgebung der Anlage keine erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Die Anlage von Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk Europas und verfügt über sechs Reaktoren. Der älteste Reaktor ging 1984 in Betrieb, das Kraftwerk liegt rund 1.300 km östlich der österreichischen Grenze.

Das Kraftwerk besteht aus sechs Reaktoren, nur einer davon laufe aktuell, nämlich Reaktor 4, mit einer Auslastung von 60 Prozent. Reaktor 1, 2 und 3 wurden abgestellt, Reaktor 5 und 6 laufen wie üblich im Reservemodus. Die Reaktoren erstrecken sich auf eine Länge von einem Kilometer. Das Trainingsgebäude, in dem das Feuer auftrat, liegt südlich von den Reaktoren, etwas weniger als einen Kilometer von Reaktor 1 entfernt.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij warf Russland am Freitag "Nuklear-Terror" vor: Kein anderes Land der Welt habe jemals Atomanlagen beschossen, sagte Selenskij in einer in der Nacht auf Freitag veröffentlichten Videobotschaft. "Der Terroristen-Staat verlegt sich jetzt auf Nuklear-Terror." Offenbar wolle Russland die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 "wiederholen".

Klimaschutzministerium sieht keine Gefahr für Österreich

Nach Angaben des Klimaschutzministeriums besteht keine Gefahr für Österreich durch den Brand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Man habe "keine Meldungen über Schäden in wesentlichen Anlageteilen" erhalten. Es gebe "keine Freisetzung radioaktiver Stoffe und damit auch keine Auswirkungen außerhalb der Anlage", hieß es in einer Mitteilung des Ministeriums in der Nacht.

Russische Truppen kreisen Kiew weiter ein, AKW besetzt

Internationale Beunruhigung

US-Präsident Joe Biden forderte seinerseits Russland auf, seine militärischen Aktivitäten in dem Gebiet um das Kernkraftwerk Saporischschja einzustellen. In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij habe Biden sich "über den aktuellen Stand des Brandes" in der Atomanlage erkundigt, teilte das Weiße Haus am Donnerstagabend (Ortszeit) mit.

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Durch die Kämpfe nahe Saporischschja gefährdet Putin nach Meinung des britischen Premierministers Boris Johnson ganz Europa. Die "rücksichtslosen Aktionen" von Putin "könnten nun die Sicherheit ganz Europas direkt gefährden", sagte Johnson am frühen Freitagmorgen bei einem Telefonat mit Selenskij. Johnson erklärte laut einer Mitteilung seines Amtssitzes, dass er "in den kommenden Stunden" eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zur Lage in dem Atomkraftwerk erreichen wolle. Großbritannien werde alles tun, um sicherzustellen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtere, hieß es weiter.

Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko forderte angesichts von Berichten über ein Feuer in der Anlage des Atomkraftwerks einmal mehr ein Eingreifen der NATO. "Deshalb fordern wir nicht nur eine professionelle Einschätzung der Geschehnisse, sondern ein echtes Eingreifen mit den härtesten Maßnahmen, auch durch die NATO und die Länder, die Atomwaffen besitzen", schrieb Haluschtschenko in der Nacht auf Freitag auf Facebook.

Tschernobyl "unwahrscheinlich"

Internationale Nuklearexperten hielten in ersten Einschätzungen eine Explosion wie im Atomkraftwerk Tschernobyl 1986 im Akw Saporischschja für unwahrscheinlich. "Keiner der Reaktoren in Saporischschja dürfte explodieren wie Tschernobyl es tat. Aber die Russen müssen vom Kraftwerk weg", schrieb die US-Nuklearwaffenexpertin Cheryl Rofer auf Twitter.

Russische Truppen kreisen Kiew ein

Russische Truppen setzen derweil nach ukrainischen Armeeangaben ihren Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew fort. "Die Hauptanstrengungen der Besatzer konzentrieren sich auf die Einkreisung Kiews", heißt es im Morgenbericht der ukrainischen Armee. Es wurden zunächst keine Angaben zu Kämpfen rund um die Millionenstadt gemacht. Ein russischer Vorstoß auf die Hafenstadt Mykolajiw wurde laut Olexij Arestowytsch, dem Berater des ukrainischen Präsidenten, gestoppt.

Nach Angaben eines Reuters-Reportes waren am Freitag in Kiew mehrere Explosionen in schneller Reihenfolge zu hören. Sirenen warnen vor einem Angriff. Der genaue Ort der Explosionen konnte zunächst nicht lokalisiert werden.

Kiew löste seit Mitternacht mehrfach Luftalarm aus. Die Bewohner sollten sich in Luftschutzbunkern in Sicherheit bringen.

Russen auch in Mykolajiw, haben Mariupol eingekreist

Nach Angaben der Regionalbehörden drangen russische Truppen in die ukrainische Hafenstadt Mykolajiw am Schwarzen Meer vor. In Teilen der Großstadt gebe es Kämpfe, sagt Gouverneur Vitalii Kim in einer Videonachricht. Er appelliert an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren. "Lassen Sie uns nicht nervös werden", sagt Kim. Arestowytsch erklärte, Vorstöße der russischen Armee auf Mykolajiw seien zurückgeworfen worden.

Die weiter westlich liegende Metropole Odessa sei keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt, so Arestowytsch. Im Osten sei die Situation in der teilweise eingekreisten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer unter Kontrolle. Die Angaben kann Reuters nicht überprüfen. Arestowytsch zeigte sich verhalten zuversichtlich. Man sei vorsichtig optimistisch mit Blick auf die künftige Entwicklung.

Laut ukrainischer Darstellung sollen sich russische Truppen von dem strategisch wichtigen Flugplatz Hostomel nordwestlich von Kiew zurückgezogen haben. Die südukrainische Hafenstadt Mariupol sei inzwischen komplett eingeschlossen. "Der Feind hatte einen erheblichen technischen Vorteil", hieß es. Zudem sei das Flugabwehrsystem an der Schwarzmeer-Küste angegriffen worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die ukrainischen Streitkräfte haben nach britischen Angaben weiterhin die Kontrolle über Mariupol im Südosten des Landes. Sie sei aber wohl von russischen Truppen eingekreist, teilte das britische Verteidigungsministerium auf Basis eines neuen geheimdienstlichen Lageberichts laut Reuters mit. Die zivile Infrastruktur sei weiterhin intensivem Beschuss durch das russische Militär ausgesetzt.

47 Tote in Tschernihiw

Nach Angaben von Verteidigungsminister Olexij Resnikow halten ukrainische Kräfte an strategisch wichtigen Orten den Angreifern Stand, etwa in den nordostukrainischen Gebieten Sumy und Tschernihiw. "Der Feind ist verwirrt und eingeschüchtert", schrieb Resnikow bei Facebook. Die ukrainischen Streitkräfte hätten ungeheure Mengen an Militärtechnik und Waffen erbeutet sowie mehr als 10.000 russische Soldaten getötet, behauptete er. Der Generalstab hatte kurz davor noch von gut 9.100 getöteten Gegnern gesprochen.

Bei russischen Luftangriffen auf Tschernihiw wurden nach ukrainischen Angaben am Donnerstag 47 Menschen getötet. Damit korrigierten die örtlichen Behörden in der nordukrainischen Großstadt am Freitag ihre Angaben nach oben, nachdem sie zuvor von 33 Todesopfern gesprochen hatten. Am Donnerstag hatten die Rettungsdienste nach eigenen Angaben wegen schweren Beschusses ihre Arbeiten zeitweise aussetzen müssen.

Gut eine Woche nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine planen beide Seiten am Wochenende eine dritte Verhandlungsrunde. "Die dritte Runde kann morgen oder übermorgen stattfinden, wir sind in ständigem Kontakt", teilte am Freitag der ukrainische Unterhändler Mychailo Podoljak mit.

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