Weltgerichtshof: "Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung"

Opfer der Klimakrise: Inselstaat Tuvalu
Weiße Traumstrände. Kristallklares Wasser. Endlose Palmenreihen. Ein Inselparadies mitten im Pazifik – das ist der Inselstaat Vanuatu. Doch wenn Ralph Regenvanu, Klimaminister des Inselreiches, über seine Heimat spricht, hört sich alles ganz anders an: „Wir stehen an der Front einer Krise, die wir nicht verschuldet haben, die aber das Überleben unserer Nation gefährden kann – und das der Menschheit.“
Einige der 83 Vulkaninseln, über die sich der Inselstaat erstreckt, liegen nur knapp einen Meter über dem Meeresspiegel. Steigen die weltweiten Temperaturen infolge des Klimawandels weiter an, werden diese Inseln buchstäblich untergehen.
Folgen des Klimawandels
Andere Folgen der globalen Erwärmung suchen Vanuatu, Tuvalu und andere Südseeinseln schon jetzt heim: Dürren, Wirbelstürme, Überschwemmungen. Weswegen Vanuatu zusammen mit weiteren gefährdeten Inselgruppen das „höchste Gericht der Welt“ anrief: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag sollte festlegen, was Staaten nach internationalem Recht für den weltweiten Klimaschutz tun müssen und ob sie bei Versagen allfällige Entschädigungszahlungen an die Opfer des Klimawandels zu zahlen haben.
Am Mittwoch legte das Gericht sein historisches Gutachten vor: „Treibhausgasemissionen werden eindeutig durch menschliche Aktivitäten verursacht, die nicht territorial begrenzt sind“, sagte Richter Yuji Iwasawa während der mehr als einstündigen Verlesung des Gutachtens. Er betonte, dass der Klimawandel eine „existenzielle Bedrohung“ darstelle.
Der Richter fuhr fort: "Das Gericht ist der Ansicht, dass die uneingeschränkte Wahrnehmung der Menschenrechte ohne den Schutz des Klimasystems und anderer Teile der Umwelt nicht gewährleistet werden kann. Um die wirksame Wahrnehmung der Menschenrechte zu gewährleisten, müssen die Staaten das Klimasystem und andere Teile der Umwelt schützen. Nach dem internationalen Menschenrechtsrecht sind die Staaten verpflichtet, diesbezüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen."
„Bahnbrechend“
Völkerrechtlich nicht bindend, gilt das Gutachten dennoch als politisch bedeutsam. „Es ist mehr als eine Orientierungshilfe für andere internationale Gerichte, sondern vielmehr eine Anleitung“, sagt die auf Klima- und Umweltrecht spezialisierte Anwältin Michaela Krömer. Für alle internationalen Rechtsprechungen bei Klimaklagen sei das positiv, führt Krämer aus, „das baut Druck auf. Man kann sagen: Das internationale Völkerrecht sieht es so, es ist internationaler Konsens." Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) sei ein rechtliches Pendant zum IPCC-Bericht, führt Krömer weiter aus, "und es ist tatsächlich bahnbrechend: Jeder Staat hat die eine rechtliche Pflicht, wirksam gegen die Klimakrise vorzugehen. Der Gerichtshof hat unmissverständlich festgehalten, dass diese Pflicht sich auch auf den Grund- und Menschenrechten ableitet. Dazu gehört auch der Ausstieg aus fossilen Energien. Der Gerichtshof hat die unterschiedliche Verantwortung der Staaten auf Grund der historischen Verantwortung bejaht."
Das Problem dabei: Das Völkerrecht wird allzu oft gebrochen – ohne dass Staaten, wie etwa im Fall Russlands Überfall auf die Ukraine, bisher rechtliche Folgen hätte fürchten müssen.
Auch im Fall Vanuatus wird nun kein Gerichtsvollzieher von einer Regierung dieser Welt einfordern können, dass sie mehr für den Klimaschutz tun muss. Doch der Schub für erfolgreiche Klimaklagen steigt.
Ökozid-Gesetz
Auch auf einer anderen Ebene könnte das IGH-Gutachten erhebliche Auswirkungen haben. Seit Jahren laufen Bemühungen, den Ökozid, also die bewusste schwere Schädigung oder Zerstörung von Ökosystemen, zu einer internationalen Straftat zu erklären. Dieses Ansinnen schlage in dieselbe Kerbe wie das IGH-Gutachten, meint Krömer. „Generell wird deutlicher, dass internationale Gerichte Klimaklagen immer ernster nehmen.“
Doch der Weg ist noch weit, bis der Ökozid neben Völkermord, Kriegsverbrechen, Aggression und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum fünften internationalen Verbrechen gelistet wird. Zuständig wäre dafür der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag.
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