"Kein Deal auf Grundlage von Lügen": Irlands Angst vor dem Brexit
Man muss Simon Coveney nicht lange lauschen, um seine Meinung zum Brexit und zu Boris Johnsons jüngsten Plänen zu erfassen. Allein der harte Tonfall macht deutlich, wie wenig sich Irlands Außenminister in diesen Tagen von London noch erwartet.
Der britische Premierminister Johnson tue nichts anderes, als alle möglichen Lösungen für ein Problem auszuschließen, meint Coveney im Gespräch mit Reportern in Belfast, „und damit macht er das Problem nur noch größer“.
In Irland ist der bevorstehende Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union seit Jahren dominierendes Thema. Vor allem die irische Landwirtschaft braucht den Nachbarn Großbritannien als engen Partner und als wichtigsten Exportmarkt. Eine Grenze zwischen Irland und der benachbarten britischen Provinz Nordirland würde zu einer schwer überwindbaren Hürde für alles von Milch und Rindfleisch bis hin zu Guinness-Bier, das etwa in Irland gebraut und in Nordirland abgefüllt wird.
„Ein Desaster“
Der Brexit, das hört man hier von Politikern wie Außenminister Coveney, von Bauern, aber auch von den Menschen auf der Straße, ist „ein Desaster“. Und dieses Desaster ist umso größer, je härter dieser Brexit ausfällt. Der „No-Deal“-Brexit also, mit dem Boris Johnson ja seit Wochen der EU droht, gilt als eine Katastrophe – und das für beide Teile der irischen Insel.
Zehntausende Arbeitsplätze würden verloren gehen, im ohnehin chronisch kriselnden Nordirland noch mehr als im Süden. Und diese Arbeitsplätze fehlen nicht in ohnehin boomenden Städten wie Dublin, sondern gerade in den wirtschaftlich schwachen Grenzregionen, dort wo Landwirtschaft immer noch der wichtigste Arbeitgeber ist.
Viehzucht überlebt nicht
Bauernvertreter entwerfen bereits düstere Szenarien für einen No-Deal-Brexit. Die irische Viehzucht werde einen solchen Schritt nicht überleben. Jeder Politiker, wettert einer von ihnen, „der auch nur einen Schritt setzt, der diese Grenze wieder schließt, sollte sofort seinen Hut nehmen.“
Doch die Ängste vor der neuen Grenze haben nicht nur wirtschaftliche, sondern vielmehr auch politische Gründe, wie auch der irische Außenminister in dem Gespräch deutlich macht: „Die wichtigste Garantie für den Frieden in Nordirland ist eine offene Grenze ohne Kontrollen und ohne Barrieren, die den Verkehr zwischen den beiden Ländern beinträchtigen“, sagt Coveney .
Johnsons Vorgängerin Theresa May habe das noch verstanden. Die von ihr mit der EU ausgehandelte Einigung für die Grenze, der sogenannte „Backstop“, hätte ja auch in Zukunft Grenzkontrollen verhindert: „Das war die Garantie für die Menschen im Norden und im Süden, dass sie nicht eines Tages wieder vor Grenzbalken stehen würden.“
Unter Johnson dagegen, „fehlt in London jedes Verständnis dafür, wie verletzlich dieser Frieden in Nordirland ist: Eine unselige Kombination aus englischem Nationalismus und Verständnislosigkeit.“ Die jüngst wieder aufgeflammte Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsprovinz Nordirland und die anhaltende politische Blockade dort scheinen irischen Politikern wie Coveney recht zu geben.
Johnson will Brexit unbedingt am 31. Oktober durchziehen
Mit den vom britischen Premierminister in den letzten Tagen präsentierten Vorschlägen aber will man sich auf keinen Fall zufrieden geben, auch weil man in Johnson längst kein Vertrauen mehr hat. Viel zu oft habe der seine Haltung geändert, meist nur aus taktischen Gründen.
"Lügen und Bluffs"
Der Außenminister macht dieses Misstrauen in erstaunlich drastischen Worten deutlich: „Wir werden keinen Deal unterzeichnen, der auf Lügen und Bluffs beruht.“
Längst bereitet man sich auch in Dublin hinter den Kulissen auf den No-Deal-Brexit vor, Szenarien für Grenzkontrollen werden entworfen, technische Möglichkeiten überprüft.
Für Irland ist das Wichtigste, uneingeschränkt Mitglied der EU und vor allem des gemeinsamen Marktes zu bleiben, und dafür, betont Coveney, werde man notfalls auch Grenzkontrollen hochziehen: „Wenn Irland durch einen No-Deal-Brexit gezwungen wird, werden wir uns dafür entscheiden.“ Boris Johnson aber, betont der Außenminister, „weiß, dass es möglich ist, eine Vereinbarung für irische Grenze zu erzielen. Es stellt sich nur die Frage, ob er wirklich den politischen Appetit darauf hat“.
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