Flucht durch den Jemen: Dem Elend entflohen, im Elend gelandet

Von Franziska Trautmann
Auf unsicheren Wegen das Rote Meer überqueren, ohne Garantie, nur mit Hoffnung. Circa 100.000 Menschen probieren jedes Jahr vom Horn von Afrika durch den Jemen in die Golfstaaten zu migrieren. Für afrikanische Migranten meistens der einzige Weg, um gut bezahlte Arbeit zu finden und ihre Familien erhalten zu können. Diese Entscheidung bringt auch unbewusste Risiken mit sich. Nicht nur die Bootsfahrt selbst ist lebensbedrohlich, auf ihrem Weg erfahren sie oft Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung.
Mehr als 80 Prozent erfuhren Gewalt
Obwohl im Jemen seit 2014 Bürgerkrieg herrscht, bleibt es für afrikanische Migranten ein wichtiges Transitland. Die Ostroute von Äthiopien, Somalia und Dschibuti in den Jemen ist der am häufigsten genutzte, aber auch gefährlichste Weg in die Golfstaaten. Immer öfter kommt es zu Bootsunglücken mit zahlreichen Todesopfern vor der jemenitischen Küste. Schleuser und Menschenhändler kontrollieren diese Route.
Zusammengepfercht stapeln sich die Menschen auf kleinen Schlauchbooten, ohne Rettungswesten und ohne Verpflegung – zahlen dafür sogar 300 US-Dollar. Trotz der furchtbaren Bedingungen legen mehr als 60 Prozent der Migranten ihr Leben in die Hände von Schmugglern, oft ohne sich der Folgen bewusst zu sein. Allein letztes Jahr zählte man circa 61.000 Migranten, die nur über die Ostroute in den Jemen gekommen sind. Zum Vergleich: in Europa wurden 239.000 Migranten 2024 erfasst, das aber auf fünf unterschiedlichen Routen.

Aber für die meisten afrikanischen Migranten beginnt der Albtraum, sobald sie im Jemen Fuß an Land setzen. Der KURIER hat bei Katja Juric, Programmleiter für die IOM Jemen, nachgefragt: „Bei der Ankunft im Jemen werden sie oftmals von Schleppern festgehalten und zu einer Art Sammelstelle gebracht. Dort werden sie für Arbeit ausgebeutet oder für sie Lösegeld von der Zuhausegebliebenen Familie gefordert.“
Mehr als 80 Prozent erfuhren auf ihrer Reise körperliche Gewalt. Laut Juric gibt es vor allem unzählige Berichte über sexuelle Gewalt gegen Migrantinnen, die meistens in ungewollten Schwangerschaften und Geburten unter katastrophalen Umständen enden.
Juric erklärt auch, dass die meisten Migranten jahrelang im Jemen festsitzen. Sie haben keine Mittel weiterzuziehen oder nach Hause zurückzukehren. Ohne Ausweispapiere und auf ständiger Hut verhaftet zu werden, sind sie oft für humanitäre Helfer unsichtbar. In den Jemen zu kommen ist ein steiniger Weg, ihn zu verlassen grenzt oft an ein Wunder. Das IOM stellt deshalb freiwillige humanitäre Rückkehrhilfeaktionen zur Verfügung. Trotzdem versuchen es viele erneut und hoffen auf besser Chancen nächstes Mal.
Eine Erfolgsgeschichte reicht
Einige Ostafrikanische Länder verbieten bereits ihren Bürgern im Golf zu arbeiten. Nicht nur wegen der gefährlichen Route, sondern auch den schlechten Arbeitsbedingungen dort. Arbeitgeber haben dort in der Regel die gesamte Macht inne und missbrauchen Migranten und nehmen ihnen ihre Papiere weg. Trotzdem zieht es Afrikaner dorthin. „In den Golfstaaten, vor allem in Saudi-Arabien, besteht eine große Nachfrage an Arbeitskräften, insbesondere im Haushaltssektor und Bauwesen. Das ist ein entscheidender Grund für die Migration“, erklärt Ayla Bonfiglio, Regionalleiterin für Ost- und Südafrika für das Mixed Migration Center (MMC), gegenüber dem KURIER. Für die meisten Migranten ist die Bezahlung in den Golfstaaten besser als zuhause – eine klare Kosten-Nutzen-Abwägung.
„Sie erzählten uns, dass schon eine einzige Erfolgsgeschichte eines Migranten ausreicht. Einer, der es geschafft hat, die Grenze zu überqueren und eine Arbeitsstelle zu finden, überzeugt viele ihre Reise fortzusetzen “, erzählt Juric von ihrem Gespräch mit afrikanischen Migranten im Jemen.
Sichere Wege, statt Schmuggel
Diese Schmugglernetzwerke und die damit verbundene Ausbeutung von Migranten werden stark durch den anhaltenden Bürgerkrieg im Jemen befeuert. „In Ländern mit Konflikten, wie der anhaltende Bürgerkrieg im Jemen, sind normalerweise die Institutionen geschwächt, so können Schmugglernetzwerke aufkommen und operieren “, sagt Bonfiglio. Selbst wenn die jemenitischen Behörden dagegen vorgehen würden, werden Schmuggler alternative Routen finden – meistens noch gefährlichere. „Die einzige Möglichkeit, das Geschäftsmodell des Menschenschmuggels zu zerschlagen, besteht darin, reguläre Wege einzuführen“, erklärt Bonfiglio.
Sowohl für Bonfiglio als auch für Juric bedeutet das, nicht Migrationsrouten stärker einzuschränken, sondern sicherer zu machen. Denn die Gründe für afrikanische Migranten in den Golf zu gehen, verschärfen sich nur. Neben wirtschaftlicher Instabilität und Konflikten, befindet sich der Klimawandel am aufstrebenden Ast. In fast allen afrikanischen Ländern ist man auf Landwirtschaft als Haupteinkommensquelle angewiesen. Landwirtschaftliche Flächen sind aber zunehmend vom Klimawandel beeinträchtigt, weshalb viele Menschen an der Schwelle zur Existenzkrise stehen. Migration wird von ihnen als einzige Lösung gesehen.
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