Schärfere Regeln für Migration: Portugal schließt das Tor zur EU

Demonstranten protestieren in Lissabon gegen die Verschärfung des Migrationsrechts.
Noch vor einem Jahr gab sich Luís Montenegro kompromisslos. „Nein heißt Nein“, sagte Portugals Regierungschef auf die Frage, ob er mit der rechtsextremen Chega zusammenarbeiten würde. Seitdem ist viel passiert. Montenegro stolperte über einen Korruptionsskandal und der Atlantikstaat zum dritten Mal in drei Jahren in Neuwahlen. Der konservative Premier kam im Mai zwar gestärkt zurück ins Amt – so aber auch die Rechtsaußen-Partei von André Ventura, die erstmals zweitstärkste Kraft wurde.
Seitdem treibt die Chega die regierende AD vor sich her. Am Mittwoch haben sie gemeinsam im Parlament für eine massive Verschärfung des Migrations- und Staatsbürgerschaftsrechts gestimmt. Damit soll dem Kurs der sozialistischen Vorgängerregierung endgültig ein Ende gesetzt werden.
Der Atlantikstaat ist das ärmste Land Westeuropas. 20 Prozent der Portugiesen leben an der Armutsgrenze.
Seit Mai regiert erneut der konservative Premier Luís Montenegro. Die rechtspopulistische Chega wurde erstmals zweitstärkste Kraft. Seit 2022 hat es in dem Land drei vorgezogene Wahlen gegeben.
1,55 Millionen Ausländer lebten bis Ende 2024 laut Regierungszahlen in Portugal. Im Vergleich zu 2017 ist das eine Vervierfachung. Allerdings betonen Experten, die Zahlen seien mit Vorsicht zu genießen. Das nationale Statistikinstitut spricht von einer Million
Zugewanderten.
Brasilianer stellen die größte Einwanderungsgruppe dar. In den letzten Jahren gab es vermehrt Zuwanderung aus Südasien.
Lockere Einwanderungsregeln
Jahrelang war Portugal nämlich für seine äußerst lockeren Einwanderungsregeln bekannt. Seit 2017 konnten sich Drittstaatenangehörige per einfacher „Interessenserklärung“ legalisieren lassen, wenn sie ein Jahr gearbeitet und Abgaben gezahlt hatten. „Diese Gesetzeslage war in dieser Form einzigartig in der EU und machte Portugal trotz niedriger Löhne attraktiv“, sagt der Migrationsforscher Josef Neubauer von der Universität für Weiterbildung Krems zum KURIER.
Die Folgen waren spürbar: Seit 2017 hat sich der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung Portugals vervierfacht. Besonders viele Zuwanderer kamen zunächst aus den ehemaligen Kolonien, später zunehmend aus Südasien, etwa Indien oder Nepal. Für ein Land, das bis 2016 mehr Auswanderer als Einwanderer zählte, war dies eine völlig neue Realität.
Rechtspopulismus
Damit ist nun Schluss. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte Montenegro die Weichen für einen härteren Migrationskurs gestellt: Er schaffte das System der „Interessenserklärung“ ab, schloss illegale Einwanderer vom kostenlosen Gesundheitssystem aus. Nun folgt die umfassendste Reform: Einschränkungen beim Familiennachzug, Arbeitsvisa nur für Hochqualifizierte, verpflichtende Sprach- und Kulturprüfungen sowie eine neue Polizeieinheit gegen illegale Migration. Brasilianer, die die größte Einwanderergruppe ausmachen, sollen nicht mehr direkt einen Aufenthaltsstatus zuerkannt bekommen.
Besonders umstritten – und juristisch wackelig – ist eine Staatsbürgerschaftsreform, die die Fristen für die Einbürgerung verdoppeln und den Entzug der Staatsbürgerschaft von Straftätern ermöglichen soll. Sie wird im September im Parlament behandelt.
In den Augen vieler seien die Verschärfungen der einst liberalen Programme ein Affront, so Neubauer. „Sie waren das zentrale Versprechen, weshalb die meisten nach Portugal kamen und seit Jahren prekäre Arbeitsbedingungen ertragen – und damit die Grundstütze der portugiesischen Wirtschaft bilden.“
Offene Anträge
Der Schwenk der Regierung ist nicht nur ideologisch motiviert, sondern auch eine Folge administrativer Überforderung: 2023 war nach dem Tod eines Ukrainers in Gewahrsam des Ausländer- und Grenzschutzdienst SEF die Behörde aufgelöst worden. Die neu geschaffene Behörde AIMA scheitert an ihren Aufgaben. 2024 warteten fast 500.000 Menschen auf eine Aufenthaltsgenehmigung.
Was zudem für Verbitterung sorgte: Viele Migranten sehen Portugal nur als Zwischenstation nach Europa. „Sie kommen, erhalten einen EU-Pass und ziehen weiter – wie viele Portugiesen auch“, sagt der Politologe João Carvalho zum KURIER. Die Rechtspopulisten wussten das Chaos geschickt zu nutzen.
„Chega hat nach und nach damit begonnen, Migration zu instrumentalisieren", so Carvalho. Den Sozialisten gelang es nicht, dem etwas entgegenzusetzen, ebenso wenig dem zunehmend feindseligen Diskurs gegenüber Migranten. Rassistische Klischees, mit denen die Chega seit jeher gegen Roma wettert, hat sie prompt auf asiatische Migranten übertragen: kriminell, sozialstaatsabhängig. Mit Wirkung: Immer mehr Migranten berichten von Diskriminierung und Rassismus.
Arbeitskräfte dringend gesucht
Dabei ist sowohl Chega als auch der regierenden AD klar: Das kleine, alternde Portugal braucht Migration, um Wirtschaft und Sozialsystem am Laufen zu halten. In Landwirtschaft, Gastronomie oder Bau sind ausländische Arbeitskräfte, die häufig unter prekärsten Bedingungen arbeiten, längst unverzichtbar.
Die Regierung jedoch versuche mit der Übernahme von Chegas Migrationskurs von komplexen, schwer zu lösenden Problemen abzulenken, etwa dem maroden Justizsystem, sagt der Politologe Carvalho. Das könnte den Konservativen aber langfristig auf den Kopf fallen: „Letztendlich entscheiden sich die Wähler immer für das Original und nicht für die Kopie.“
Etwa im Oktober, wenn in Portugal Kommunalwahlen anstehen. Chega könne dann erstmals in mehreren Regionen des Landes stärkste Kraft werden.
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