Dorfsterben in beliebter Urlaubsregion: Sie wollen nicht vergessen werden

46-216310223
Aus Kalabrien ziehen so viele Menschen weg wie nirgendwo sonst in Italien, die Arbeitslosigkeit ist viel zu hoch. Zwei kleine Orte haben dennoch Hoffnung: Cleto und Aiello Calabro widersetzen sich dem Aussterben.

Cleto liegt auf 250 Meter Höhe, rundherum schimmern silbergrün die Olivenhaine, bis hinauf zu zwei mittelalterlichen Burgen. Mag sein, dass hier das Vorwissen eine Rolle spielt, Tatsache ist, aber erblickt man das Dorf aus der Ferne, wirkt es, als würden die Häuser sich regelrecht am Hangrücken festkrallen und sich so gegen das Sterben wehren.

Cleto gehört ebenso wie das nahe Aiello Calabro zu jenen Orten Italiens, die seit Jahren mit dem Verlust von Einwohnern kämpfen. 1951 lebten dort noch 3.363 Einwohner, heute sind es 1.250; Aiello Calabro ist von 1995 von 5.578 Einwohnern auf jetzt 1.333 geschrumpft.

Das Problem der schwindenden Einwohner hat ganz Italien, 4.000 Gemeinden sind betroffen. Süditalien spürt es aber ganz besonders: Spärliche Arbeitsangebote, schlechte, wenn überhaupt gegebene öffentliche Verkehrsverbindungen und mangelnde Gesundheitseinrichtungen sind nur ein paar davon. Während die durchschnittliche Arbeitslosigkeit im Norden unter 7 Prozent liegt, hat im Süden jeder Fünfte keinen Job, vor allem in Kalabrien. Noch kritischer ist die Lage für die Jungen, bei den 19- bis 34-Jährigen ist fast jeder Dritte ohne Job.

Die Jungen gehen

Die Folge: Die jungen Generationen ziehen weg, zurück bleiben die älteren Einwohner, die größte Gruppe sind die über 60-Jährigen. In den alten Gassen von Cleto und Aiello Calabro werden darum die verriegelte Haustore immer mehr, nur hie und da weisen Blumentöpfe oder ein offenes Fenster darauf hin, dass das eine oder andere Haus bewohnt ist. Vor den einstigen Herrschaftspalazzi sammeln sich trockene Blätter, die wer weiß wie lange da schon liegen.

Italiens größter Umweltverband Legambiente beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Problem. Erstellt mit Fachleuten Studien und arbeitet Maßnahmen aus, um sich dem zu widersetzen. Für die Experten war es darum eine besonders kalte Dusche, als vor einigen Wochen Tommaso Foti, Minister für Kohäsion und Wiederaufbau sagte, es gebe einfach zu viele Gemeinden, die schlicht nicht mehr zu retten seien – man könne sie nur beim Prozess des Sterbens begleiten. In Cleto und Aiello Calabro will man das nicht hinnehmen, auch dank ihrer engagierten und jungen Bürgermeister. In Cleto ist es Armando Basso, 36 Jahre alt; in Aiello Calabro Luca Lepore, 38 Jahre alt, beide erst kurz im Amt.

Nur: Wie soll man das schaffen? Einige Orte versuchten, von globalen Schlagzeilen begleitet, unbewohnte Häuser für einen Euro zu verkaufen. „Das hat aber in den wenigsten Fällen etwas bewirkt“, sagt Domenico Cersosimo, Honorarprofessor für Angewandte Ökonomie und einer der Gründer des Verbands „Italien wiederbewohnen.“ 

Er hat ein anderes Rezept, auf Basis einer Wirtschaft, die „auf die Bedürfnisse der Einwohner eingeht“, wie er sagt. Für Bürgermeister Armando Basso sind das kleine Initiativen wie jene einer Gruppe Jugendlicher, „die den alten Stadtkern von Cleto mit QR-Codes ausgestattet haben. Während des Spaziergangs kann man diese scannen und etwas über unsere Geschichte erfahren.“ Tourismus soll aber kein Selbstzweck sein, sondern neue Einnahmemöglichkeiten erschließen, also nachhaltig wirken, sagt sein Amtskollege Lepore aus dem Nachbardorf: „Früher war die Haupterwerbsquelle Landwirtschaft, daran kann man anknüpfen“, sagt er mit Blick auf die Oliven- und Feigenproduktion.

Für die eigene Tochter

Einige Ideen hat man schon umgesetzt, um die Leute zum Bleiben zu bewegen, braucht es aber auch Anschluss an die Welt. Aiello Calabro nimmt darum am dem Projekt „Italia 2 Giga“ (sprich zwei Gigabyte pro Sekunde, teil, denn ohne schnelles Netz sind die Jugendlichen fort. „Und wir verlieren so nicht nur Einwohner, sondern auch kluge Köpfe“, sagt der Ortschef. Er hat eine Tochter noch im Kindergartenalter. Auch für sie legt er sich ins Zeug, damit sie „eines Tages nicht auswandern muss.“

Ab und zu erinnert sich auch Rom an das Problem. Kürzlich wurde ein nationaler Strategieplan dazu erstellt, so richtig umgesetzt wurde er aber nicht – im Gegenteil. Der jährliche Zuschuss von 37.000 Euro, den Cleto erhalten hat, wurde gestrichen. „Das war eine wichtige Hilfe“, sagt Basso, die Ergebnisse hätten sich durchaus sehen lassen können. Fünf Familien, alle unter 35 Jahre alt, konnten ins Dorf geholt werden, Bed & Breakfasts, Lokale und Handwerksläden wurden unterstützt.

Freilich, den Einwohnerschwund hat man damit nur gedrosselt. Mehr Zusammenarbeit unter den Gemeinden wäre geboten, etwa, was Gesundheit und öffentlichen Verkehrsmittel betrifft, dann kämen mehr Menschen wieder, sagt der ehemalige Gemeindesekretär Fedele Vena. Dann fügt er hinzu: „Doch hier kocht jeder lieber alleine sein Süppchen.“

Kommentare