Tausende Soldaten
Wobei Deckname wie Umfang der „erweiterten militärischen Aktion“ auffällige Untertreibungen sind – für mehrere Tausend Soldaten im direkten Einsatz. Bis zum Nachmittag des ersten Kampftages gaben die palästinensischen Gesundheitsbehörden offiziell acht tote Palästinenser und einige Dutzend Verwundete bekannt, „alle um die zwanzig Jahre“. Die eigentlichen Zahlen dürften höher liegen. Haben die Rettungsmannschaften doch Probleme bei der Bergung von Opfern. Fast in der ganzen Stadt kam es zu Stromausfällen.
Zur Erinnerung: Bei einer der letzten Razzien in Jenin gab es im Juni ebenfalls palästinensische Tote, fünf an der zahl. Dort waren weniger als 100 israelische Soldaten im Einsatz, die aber in ein heftiges Kreuzfeuer gerieten. Bei dieser „Aktion“ wurden bis Montagnachmittag nur „vereinzelte Schüsse und Steinwürfe“ gegen die anrückenden Soldaten gemeldet. Auch wurden am frühen Morgen zwei selbst gebaute Raketen in Richtung Israel abgefeuert – ohne Schaden anzurichten.
Werkstätten zur Herstellung solcher Raketen (eingerichtet offenbar mit iranischer Hilfe) waren bereits in der Vorwoche von der Armee beschossen worden. Sie zu zerstören, dürfte ein wichtiges Ziel der aktuellen Operation sein. Anrainer berichteten von der systematischen Durchsuchung des Flüchtlingslagers in Jenin, traditionell ein Hort radikaler Palästinenser. Experten schätzen, dass die Aktion auf 48 Stunden angelegt ist. Sollte es zu unerwarteten Problemen kommen, könne es „einige Tage länger“ dauern, hieß es. Nabil Abu Rudeina, Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, erklärte am Montag: „Das Vorgehen der israelischen Besatzungsregierung im Flüchtlingslager Jenin ist ein erneutes Kriegsverbrechen.“
Eigentlich gehört Jenin zum Verantwortungsgebiet der PA, die in Sicherheitsfragen im Westjordanland mit der israelischen Armee zusammenarbeitet. In Jenin aber hat sie jeden Einfluss verloren. Einige PA-Mitglieder haben sich sogar den Zellen im Lager angeschlossen.
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Doch die Solidarität der militanten islamistischen Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad klang am Montag keineswegs uneingeschränkt. Ismail Haniye von der Hamas rief zwar „die palästinensischen Brüder im Westjordanland“ zum solidarischen Kampf mit den Eingeschlossenen auf, seine Hamas, die im Gazastreifen die Herrschaft hat, ließ er aber außen vor. Ihr weiteres Vorgehen hänge vom „Blutzoll“ ab, den die Kämpfe fordern werden. Auch die konkurrierende Dschihad-Miliz will nur bei schweren Verlusten selbst eingreifen. Sie hat bei den letzten Kämpfen mit der israelischen Armee im Mai harte Verluste hinnehmen müssen.
Die israelische Armee hat dennoch die Alarmstufe für den Zivilschutz erhöht – für den Fall, dass aus Gaza Raketen auf Israel abgefeuert würden. Israels Regierung halte zudem Washington über die Entwicklung in Jenin auf dem Laufenden, wie es hieß. „Dort war man nicht gerade überrascht“, meinte ein israelischer Regierungssprecher. Zumal einige Kabinettsmitglieder auf eine harte Militäraktion gedrängt hatten.
„Keine Militärlösung“
Israels neues Kabinett unter Premier Benjamin Netanyahu mit seinen extremistischen Ministern stößt mit neuen Plänen zum Siedlungsbau in Europa wie aber auch in den USA auf großes Misstrauen. So fiel die Kritik an der neuen Siedlungspolitik nach mehreren Terror-Pogromen von Siedlern gegen palästinensische Zivilisten in den USA wie auch in Europa hörbar schärfer aus als sonst. Selbst Israels Armeechef kritisierte seine Regierung, die den Siedlerterror tatenlos hinnehme.
Israelische Sicherheitsexperten analysierten bereits: Der Anstieg der Gewalt in den besetzten Gebieten hänge auch mit dem Amtsantritt der neuen Regierung zusammen. Konkret warnt etwa Ronit Marzan von der Universität in Haifa vor „der wachsenden Gewalt junger Palästinenser wie auch junger Siedler“. Die junge Generation auf beiden Seiten sehe keine politische Alternative für die Zukunft. Aus der Vergangenheit habe sie nicht gelernt, die wichtigste Lehre zu ziehen: „Militärisch lassen sich unsere Probleme nicht lösen.“
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